Virtuelles Gedächtnis

Historische Schautafel
Historische Schautafel

Das Gebäude der Schneidmühle ist 1977 dem Abrissbagger zum Opfer gefallen und für immer verschwunden. Für immer? Nein Dank der Bilder und Geschichten, die wir auf dieser Website und auf Facebook sammeln, lebt das Gebäude und alle, die es bewohnten, weiter. Seit neuestem erfüllt auch die historische Schautafel am Standort der Schneidmühle diese Funktion, zumal sie via QR-Code mit der Website verbunden ist. Damit ist ein virtuelles Gedächtnis geschaffen, das an fünf Jahrhunderte erinnert, in denen die Zehntscheune zum Sägewerk wurde.

Dank

Eingeweiht wurde sie am 23. Oktober von Bad Brückenaus Bürgermeister Jochen Vogel im Beisein seiner Amtsvorgängerin Brigitte Meyerdierks zusammen mit dem 3. Bürgermeister der Stadt Dieter Seban, Ortsvorsteher von Römershag. Seban und Kulturamtsleiter Jan Marberg gebührt der Dank für ihre Beharrlichkeit, meine Initiative aufgegriffen und über drei Jahre nicht fallen gelassen, sondern mit Tatkraft umgesetzt zu haben.

Aussöhnung

In meiner Ansprache erinnerte ich neben der historischen Bedeutung an die Bedeutung in der eigenen Familiengeschichte. Der Abriss, den sie nicht abwenden konnten, habe die Vorfahren sehr bekümmert. Mit Tafel sei nun der Moment einer Aussöhnung mit der Stadt Bad Brückenau gekommen.

Echo in der Presse

Die Main Post wie auch InFranken.de berichteten über die Enthüllung der Schautafel.

Tafel als virtuelles Gedächtnis

Zeichnung EGK Schneidmühle

Heute wurde in Römershag in der Dr. -Melchior-Adam-Weikard-Straße eine erste Tafel aufgestellt in der vom Kulturamt der Stadt Bad Brückenau konzipierten Reihe „Historisches Römershag“. Die Tafel trägt den Titel „Die Schneidmühle: von der Zehntscheune bis zum Sägewerk“. Offiziell wird die Tafel am Freitag, den 23. Oktober 2020 um 12 Uhr eingeweiht. Sie hat ihren Platz in unmittelbarer Nähe zum historischen Ort, an dem die Schneidmühle vom 16. Jahrhundert bis 1977 stand.

Historische Tafel mit Link zur Website

Impressum historische Tafel
Impressum historische Tafel

Die historische Tafel ist mit dieser Website direkt verlinkt über einen QR-Code. So können alle, die des Weges kommen und an der Tafel verweilen, ihr Smartphone darauf richten und weitere Informationen erhalten.  Als weiteren Baustein des „virtuellen Gedächtnisses“ der historischen Schneidmühle habe ich neben dieser Website nun auch Schneidmühle auf Facebook eröffnet, auf der die Blogbeiträge ebenfalls ihren Platz finden können. Auch Bürgerinnen und Bürger aus Römershag und anderswoher können Bildmaterial, über das sie in Bezug auf die Schneidmühle verfügen, dort posten.

 

Hochzeit vor hundert Jahren

Luitpold und Anna Dunkel mit Hilda_Paula

Durch den frühen Tod von Anna Dunkel, geb. Kamm, im Jahr 1908, als gerade ihr letztes von acht Kindern geboren war, veränderte sich das Familiengefüge im Hause Dunkel. Die „Mama“ fehlte den Kindern überall und der Vater sah sich mannigfaltigen Problemen in Erziehung und der Versorgung gegenübergestellt. Die älteste Tochter, Hildegard, musste zunächst improvisierend die Stelle der Hausfrau einnehmen. Gewiss eine Härte, eine schwere Aufgabe für ein 17-jähriges Mädchen. Die anstehende Berufsausbildung des 14-jährigen Josef wurde verschoben. Der Vater brauchte Hilfe und Stütze im Haus für eine Übergangszeit.

Den unmündigen Kindern wurde vom Vormundschaftsgericht ein Pfleger beigeordnet. Diese Pflegschaft übernahm freiwillig der Onkel Josef Löhmer, Brückenau, Ehemann von Anna’s Schwester.  Die Verwandten in Brückenau halfen den Kindern der Schneidmühle uneigennützig und standen dem vereinsamten Schneidmüller mit Rat und Tat zur Seite. Dabei merkten sie, dass der Umgang mit ihm schwieriger wurde, und so gaben sie ihm den Rat, im allgemeinen Interesse eine zweite Ehe in Erwägung zu ziehen. Aus einem Gutachten der Rechtsanwälte Dr. Freudenthal & Dr. Rosenthal, Würzburg, geht hervor, dass sich Luitpold Dunkel ernsthaft und im juristischen Sinne Klarheit über seine Lage und die der Kinder verschaffte. Es gab schließlich auch einige Frauen, die bereit gewesen wären, in das Anwesen einzuziehen, doch Luitpold Dunkel erkannte bald, dass diese nur eigennützige Ziele verfolgten. Er blieb allein, verspürte aber Elan genug, sein Lebenswerk in der Schneidmühle fortzusetzen und die Versorgung der heranwachsenden Kinder einzuleiten.

Carola Dunkel ca. 1919

Die Kinder mussten früh unerlässliche Aufgaben für Luitpold Dunkel übernehmen und wurden dadurch emotional und teilweise schicksalshaft an  den Vater gebunden. Besonders für die Mädchen sollte das problematisch werden, zumal angesichts der massenhaften Kriegstoten ihrer Jahrgänge die möglichen Ehemänner ausblieben. Für die älteren Schneidmüllerstöchter wurde die Chance, einmal einen eigenen Hausstand zu gründen, von Monat zu Monat geringer. Die Freunde und Bekannten verbluteten auf dem Schlachtfeld. Paula und Karola erhielten in diesen Jahren in Abendkursen eine hauswirtschaftliche Ausbildung. Ebenso übten sie sich in Gabelsberger-Stenographie. Das Gitarre- und Mandolinenspielen wurde bei Zusammenkünften im Jugendzirkel erlernt. Paula zeichnete sich als Plättnerin für besonders schwierige und damals noch zu stärkende Kleidungsstücke aus. Aushilfsweise arbeitete sie auf diesem Gebiet für die Kurverwaltung von Bad Brückenau und erhielt dafür erstklassige Referenzen. Karola entwickelte trotz vieler Nachtschichten in der Mühle kaufmännischen Instinkt und unternehmerisches Denken. In Botengängen zu den Banken und den Geschäftsleuten von Brückenau lernte sie deren Praktiken kennen und verstand es mit der Zeit, Nutzanwendung daraus abzuleiten. Sie wurde so die unentbehrliche rechte Hand des Schneidmüllers, der froh für diese Art der Entlastung war.

Hochzeit 23.09.1920 Eugen Kuther und Carola Dunkel
Hochzeit 23.09.1920 Eugen Kuther und Carola Dunkel

Doch sollte sie, die dritte Tochter, die erste sein, die doch ihren Mann fand.  Im Jugendzirkel fanden Tanzveranstaltungen „henne Braatebachs“, d.h. im Gasthof Breitenbach, statt.  Paula war beim Tanzvergnügen eine gesuchte Walzertänzerin und Karola  lernte ihren späteren Ehemann Eugen Kuther kennen, der gerade als Junglehrer in Silberhof tätig war. Dem Schneidmüller blieb die sich anbahnende Verbindung seiner Tochter Karola nicht verborgen. Als Vater stand er dem Glück der Tochter nicht im Wege, doch wusste er nur zu genau, dass er und die Schneidmühle eine große Stütze verliert. Aber Karola sah auch frühzeitig, dass ihr Verbleiben in der Schneidmühle für die Söhne hinderlich werden könnte.

Hochzeitsbild Carola und Eugen Wohnzimmer 23.09.1920
Hochzeitsbild Carola und Eugen Wohnzimmer 23.09.1920

Am 23.9.1920 heirateten Karola und Eugen, getraut von Pfarrer Franz Miltenberger (1867- 1959), nach dem das Gymnasium benannt ist, das er 1924 initiierte und das heute auf dem Grundstück der ehemaligen Schneidmühle liegt. Die Hochzeit der Tochter Karola war für den Schneidmüller die einzige, die in seinem Hause stattfand. Als Brautmutter trat stellvertretend Luitpold Dunkel‘s Schwester Agnes Mau auf, die auch die Organisation bereitwillig übernahm.  Die Hochzeit von  Inge Dunkel mit Hubert Kausemann fand auswärts statt, ebenso die Hochzeit von Josef Dunkel. Die anderen Töchter und Söhne Luitpold Dunkels blieben unverheiratet.  1920 war das Jahr der einzigen und letzten Hochzeit in der Schneidmühle.

Die 20er Jahre

Carola Dunkel 1915
Carola Dunkel 1915

Am Neujahrstag gingen meine Gedanken zu meiner Oma, die vor 30 Jahren neunzigjährig verstorben ist. Carola Kuther, geb. Dunkel (Carola wurde sie genannt und so unterschrieb sie, auch wenn die Geburtsurkunde lautet: Alwine Karoline), ist mein Bindeglied zur Schneidmühle in Römershag, von der auf diesen Seite die Rede ist. Ihre Schwestern, meine Großtanten Hilda und Paula Dunkel sowie Großonkel Erwin Dunkel erlebte ich als Kind im Grundschulalter noch, wenn wir zu Besuch nach Römershag kamen. Diese Besuche erlebte ich mit meinen Kinderaugen als Reise in eine aus der Zeit gefallene Welt, mit Zugang zu einer Mühle durch den Kuhstall und Plumpsklo hinter dem Haus.  Das war das Geburtshaus meiner Oma, deren Vater 1935 verstorben war und dessen Arbeitszimmer die Großtanten seitdem verschlossen hielten. 1975 durfte ich dabei sein, als es bei unserem letzten Besuch geöffnet wurde, und mir dem Elfjährigen eine Welt gruselig wie bei Edgar A. Poe darbot mit vielen Entdeckungen der 20er und 30er Jahre.

Die Goldenen 20er?

Carola Dunkel am Mühlgraben
Carola Dunkel am Mühlgraben um 1920

Meine Oma hat ihre Kindheit und Jugend in der Schneidmühle verlebt, bis der Junglehrer Eugen Kuther um ihre Hand anhielt, nachdem er sie bei Tanzgesellschaften im Gasthaus Breitenbach kennengelernt hatte. Nach der Hochzeit am 23.09.1920, der sich dieses Jahr, da wir am Beginn der nächsten 20er Jahre stehen, zum hundertsten Mal jähren wird. Die sog. Goldenen 20er Jahre waren für meine Oma die Jahre, in der sie sich in das Leben in einem Lehrer- und Beamtenhaushalt eingewöhnen musste, die Inflation erlebte, erst mit Einführung der Rentenmark eine sinnvolle Haushaltplanung beginnen konnte, den Umzug von Silberhof in der Rhön nach Oberndorf im Spessart vollzog und vier Kindern das Leben schenkte. Mit meinem Sohn Theo war ich beschäftigt, einen Stammbaum in Ancestry zu erstellen, als wir ein weiteres Datum entdeckten, das die 20er Jahre des 19. Jahrhunderts in der Familiengeschichte eröffnete. Carolas Urgroßeltern väterlicherseits haben sich am 16.01. 1820 in Römershag vermählt: der Mühlenbesitzer Kaspar Dunkel und die aus Neuwirtshaus stammende Regina Kusius. Nach meinem derzeitigen Kenntnisstand hatten die beiden zehn Kinder, sechs Söhne und vier Töchter.

Stammbaum Carola Dunkel
Stammbaum Carola Dunkel

Kaspar Gartenhof

Mein Vater hat mir öfter von Kaspar Gartenhof (* 27.05.1883 in  Brückenau, † 03.11.1952 in Würzburg) erzählt, der als  Studienrat 1940/41 sein  Deutschlehrer in der Würzburger Aufbauschule  war.  Er bezeichnete ihn als väterlichen Freund, der zugleich Anverwandter der Familie Dunkel war. Im Bücherschrank meines Vaters fand ich auch die posthum veröffentlichten „Rhön-Erinnerungen“, die eine Autobiografie Gartenhofs über seine Kindheit und Jugend darstellen .

Bedeutung Gartenhofs für Römershag

Der Gymnasiallehrer Dr.  Gartenhof war zugleich Heimatforscher, der vor allem mit Veröffentlichungen zur Geschichte seiner Heimatstadt Brückenau hervortrat, so u.a. zur Geschichte des Bades, der Pfarrei, des Schulwesens und des Gesundheitswesens. Etliche Manuskripte Gartenhofs liegen heute im  Bad Brückenauer Stadtarchiv, das Jan Marberg und Roland Heinlein betreuen.  Als Chronist Brückenaus hat Dr. Gartenhof auch Arbeiten zu Römershag vorgelegt. Als Nebenprodukt seiner Forschungen zum Bad Brückenau kann seine Veröffentlichung zur Krugbäckerei in Römershag angesehen werden. (Kaspar Gartenhof: Die Krugbäckerei in Römershag.  Zur Geschichte einer untergegangenen Rhönindustrie. In: Mainfränkisches Jahrbuch für Geschichte und Kunst,5/1953, Würzburg 1953. S  180 – 207.) Dabei deckt er die Zeit von 1747 bis in die 1880er Jahre ab.

Weiter zurück in die Geschichte des Ortes reicht ein Manuskript Gartenhofs, in dem er das peinlich beachtete Übergabezeremoniell beschreibt, das beim Kauf des Rittergutes Römershag durch das Stift Fulda  1692 Anwendung fand. (Kaspar Gartenhof; Christoph Weber: Der Übergang der Tannschen Herrschaft Römershag an das Stift Fulda. In: Fuldaer Geschichtsblätter, Band 30 (1954), S. 114 – 127.) Das Manuskript wurde von Christoph Weber in den Geschichtsblättern veröffentlicht, weil es sich um Auszüge aus Akten des Staatsarchivs Würzburg handelt. „Da die Originale durch die Fliegerangriffe im Frühjahr 1945 mit dem Staatsarchiv vernichtet wurden, besitzen die Auszüge Quellenwert.“ (a.a.O. S. 114, Anm. 1) Die zum Rittergut gehörenden Schneidmühle ist m. E. zweifach erwähnt. Im Zusammenhang mit der Inbesitznahme aller Wiesen und der zugehörigen Gewässer ist von der „langen Scheuer“ (a.a.O. S. 123) die Rede, was auf die ursprüngliche Funktion als Zehntscheune verweist.  Gleichwohl ist sie auch als Schneidmühle genannt, sowohl in der Inventarliste (a.a.O. S. 117) als auch beim Übergabezeremoniell (a.a.O. S. 124).

Bezug Gartenhofs zur Familie Dunkel

Stammbaum mit Anverwandten K. Gartenhof
Stammbaum mit Anverwandten K. Gartenhof

Laut mündlicher Überlieferung über meine Großmutter Carola, geb. Dunkel, war Kaspar Gartenhof während seiner Studienjahre in München zunächst eng befreundet mit Alwine Dörflinger, wohnhaft in Brückenau, Untermang, Alwine war Tochter der Regina Mau, verwitwete Dörflinger, und Enkelin von Joseph Dunkel (1824 – 1902). Während seiner Ausbildung zum Lehrer in Würzburg wohnte Gartenhof auf Empfehlung von Regina Mau bei deren Schwester Maria Schmäling in der Hüttenstr. 18 im „grünen Zimmer“. Dabei lernte er die Tochter Regina, genannt Ines Schmäling, eine Cousine zu Alwine, kennen. Schließlich entschied sich Kaspar Gartenhof für die Klavierlehrerin Ines, die er 1912 heiratete. Über diese Enkelin Joseph Dunkels wurde Gartenhof zum „Anverwandten“ der Dunkels. Alwine Dörflinger heiratete nach langer vergeblicher Wartezeit in das Kaufhaus Josef Förg in Brückenau ein.

Gartenhofs Rhön-Erinnerungen

Gartenhof Rhön-Erinnerungen
Gartenhof Rhön-Erinnerungen

Anders als der von den Herausgebern gewählte Titel nahelegt, sammelt der Band nicht nur Heimaterinnerungen des in Bad Brückenau geborenen Gartenhof, sondern zeichnet autobiografisch seinen Werdegang bis zum 20. Lebensjahr, mithin ist er ein Zeitzeugnis für die Jahre 1883 bis 1903. Mir liegt die zweite, verbesserte Auflage von 1976 des im Verlag J.G. Bläschke, Darmstadt veröffentlichten Bandes mit 561 Seiten vor. Die Herausgeber, Franz Gößwein und Otto Strykowski aus Würzburg, haben 1973 eine erste Auflage mit einem zweiseitigen Vorwort versehen und unter dem Titel „Rhönerinnerungen“ veröffentlicht. Es handelt sich um eine Sammlung aus dem Nachlass von Dr. Kaspar Gartenhof. Sowohl thematisch wie stilistisch erscheint sie als nicht einheitliche Zusammenstellung. Das Buch lässt sich, wie von den Herausgebern im Vorwort angeregt, lesen als detailverliebte Heimatkunde und als exemplarische Kindheit eines Rhöners um 1900. Dazu passt auch ihr Titel. Gartenhofs Schilderungen von Bad Brückenau und Umgebung, aber auch von Münnerstadt sind eindringlich.

Gleichzeitig zeichnen die Erinnerungen ein feinsinniges Psychogramm. Gartenhof beschreibt seine innere Heimat, die zunächst der katholische Glaube darstellt, in den er über seine Mutter hineinwächst. Und er skizziert seine schrittweise Ablösung von diesem überkommenen Glauben. Gleichzeitig erwächst ihm dank der Gymnasialzeit in Münnerstadt eine neue Heimat, das Land der Dichtung. Doch zahlt er einen hohen Preis für den Zugang zu den neuen Bildungserfahrungen. Als Kind aus ärmsten Verhältnissen bekommt er finanzielle Unterstützung Dritter nur wegen der Aussicht, dass er Augustinerpater oder zumindest Weltpriester würde. Sein Ringen mit seinem Gewissen, mit Gott legt Gartenhof im Rhythmus von Internatsaufenthalt und jährlichen Ferien als Reifungs- und Klärungsgeschichte eines Jugendlichen an, die jeden mitnehmen muss, der um große Lebens-, Berufs- und Berufungsfragen gerungen hat. Als er weiß, dass er niemals Pater oder Priester werden wird, und gewahr wird, dass er den Glauben an kirchliche Lehrsätze auf Autorität hin aus Kindheitstagen gegen einen Gott-Natur-Gefühl-Glauben eingetauscht hat, wie er ihm bei den Dichtern Goethe, Klopstock, Lessing und Jean Paul begegnet, wahrt er dennoch die äußere Form, um zum Gymnasialabschluss zu gelangen.
Gartenhofs Erörterungen, warum nur die Wohlhabenden sich den Zugang zur Geisteswelt und den Genuss von Dichtung und Kunst leisten können, während die Welt der höheren Bildung den Armen verschlossen bleibt, trägt zwar die Zeitsignatur der armen Rhön um 1900, ist aber in der grundsätzlichen Fragestellung der Milieuabhängigkeit des Bildungszugangs nach wie vor aktuell. Gartenhof fragt sich in letzter Konsequenz, ob die von der Kirche und seiner Mutter abgelehnten Ideen eines Liebknechts und Bebels nicht doch die richtigen seien, um eine andere Verteilung materieller und geistiger Reichtümer zu erzielen. Auch in diesem Bekenntnis zum Sozialismus gibt seine Lebenserinnerung Zeugnis für eine der Grundfragen von Heranwachsenden jeder Generation, der Frage nach der Gerechtigkeit.
Freimütig offen beschreibt Gartenhof, der sich selbst als sehr sinnlichen Menschen skizziert, auch die verschiedenen Phasen der Sexualität, beginnend mit den kindlichen Spielen des Vierjährigen in der sog. Kinderbewahranstalt über das Erwachen des Triebes in der Pubertät, über homoerotische Versuche und Versuchungen im Internat zu den ersten Liebesbegegnungen mit Mädchen. In jeder der Phase wird zugleich die Gefährdung des Heranwachsenden durch Übergriffe angedeutet, nicht zuletzt durch das kirchliche Personal. So sind Gartenhofs „Rhönerinnerungen“ auch ein frühes Dokument zum Beleg der langen Praxis des sexuellen Missbrauchs innerhalb von Einrichtungen und durch Priester der katholischen Kirche, deren Aufarbeitung seit 2010 noch am Anfang steht.

 

Lebensstationen Gartenhofs

Kaspar Gartenhof 1912
Kaspar Gartenhof 1912

1883 – Kaspar Gartenhof wird am 27. Mai als zwölftes Kind seiner Eltern in Brückenau, Siebenbrückengasse, geboren.

1894 – sein Vater, der Schuster Oswald Gartenhof, verstirbt.

1894 – Gymnasiast in Münnerstadt

1903 – Abitur in Münnerstadt / Germanistikstudium in München

– Promotion / Lehrerausbildung in Würzburg

1912 – Heirat mit Ines Schmäling in Würzburg

1914/1915 – Lehrer in Ludwigshafen

1917 – Lehrer in Nürnberg

1917 – Geburt seiner Tochter Martha

– Lehrer in Wasserburg

1931 – 1948  Studienprofessor für die Fächer Deutsch, Geschichte und Geographie an der Oberrealschule Würzburg

1942 – Seine Tochter Dr. med. Martha Gartenhof kommt beim Skilaufen im Harz ums Leben

1948 – Pensionierung

1952 – am 3. November verstirbt Kaspar Gartenhof in Würzburg

 

 

 

Der Brückenheilige an der Römershager Talbrücke der A 7

Am 27. Juli hat mich eine Familie aus Römershag am Morgen nach meiner Lesung im Gasthof Breitenbach den Höllgraben hinaufgeführt zum dortigen Bildstock nahe der Autobahnbrücke der A7. Ich kannte den Bildstock nicht. Die Rede auf ihn kam am Vorabend, als ich von der Kreuzesstiftung des Urahn Kaspar Dunkel im „Anstaltswäldchen“ erzählte. So fuhren wir bis unter die Brücke und querten die Streuobstwiese , um schließlich an einer Böschung den Bildstock so vorzufinden, wie er in der Denkmalliste beim Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege beschrieben ist: „A 7. Bildstock, Aufsatz mit Reliefs des Hl. Nepomuk, Rückseite mit Relief der Pietà und Inschrift, auf Rundsäule mit ionischem Kapitell über Tischsockel, Sandstein, bez. 1776. nicht nachqualifiziert, im Bayerischen Denkmal-Atlas nicht kartiert.“

Der Brückenheilige

Nepomuk 1776
Nepomuk 1776

Natürlich fragte ich mich, was der Brückenheilige Nepomuk hier in der Höhe am Waldesrand zu suchen hatte. An der Sinnbrücke in Brückenau ist sein Standort als Schutzpatron derer, die die Brücke queren, leicht verständlich. Aber hier. 1776 gab es keine Brücke. Oder doch einen Steg über den Höllgraben? Oder hatte der Bildstock ursprünglich einen anderen Standort? 200 Jahre nach seiner Entstehung hat der Bildstock an dieser Stelle neue Bedeutung, weil er zwar nicht auf der Brücke, aber nahezu unter der 1967 eingeweihten Brücke steht. Nepomuk als Schutzpatron aller Autofahrer, die die große A7-Brücke benutzen.  Bleibt zu hoffen, dass die Planer und Beteiligten des großen Ersatzneubaus der Talbrücke in den nächsten Jahren um das Kleinod des Bildstock wissen und es umsichtig bergen.  Schließlich ist eine umfangreiche Auffüllung des Tales für die Baustellenstraße geplant.

Römershag 1965 Bau Talbrücke A7 © Dr. Kurt Schunck
Römershag 1965 Bau Talbrücke A7 © Dr. Kurt Schunck

Die Quelle

Einweihung Wasserleitung Römershag 1905
Einweihung Wasserleitung Römershag 1905

Der morgendliche Spaziergang hatte einen weiteren Grund. Ich wollte die Quellfassung des Höllgrabens sehen, die Urgroßvater Luitpold  1905 hat vornehmen lassen. Damit hatte er die Wasserleitung für den Ort begründet, die bis zur Ablösung durch das neue Wasserwerk in den 1960er Jahren Bestand hatte. Noch heute werden drei Brunnen vom Wasser der Leitung gespeist, aus denen Gärten bewässert werden. Zwar ist im Rahmen der Bauarbeiten für die neue Talbrücke eine Verrohrung des Höllgrabens vorgesehen. Ob jedoch die alten Leitungen von der Quellfassung oben her das Ganze überdauern werden?

Ulrich Kuther an der Quellfassung im Höllgraben
Ulrich Kuther an der Quellfassung im Höllgraben 2019

Sinntalbahn

 

Sinntalbahn bei Römershag 2016
Sinntalbahn bei Römershag 2016

Pünktlich zum Bad Brückenauer Stadtfest ist der „Rhönexpress“ Bahnradweg eingeweiht worden, der auf den 26 Kilometern zwischen Jossa und Wildflecken an die längst stillgelegte Sinntalbahn erinnern möchte.

Vor drei Jahren fand ich die Bahnstrecke wie auf dem Foto gezeigt vor, jetzt ist sie mit frischem Asphalt für die Radfahrer präpariert.

Anhand der Aufzeichnungen zur Familiengeschichte blicke ich auf die Geschichte der Bahnstrecke zurück.

Ersehnte Bahnstrecke

Eröffnet wurde die Bahnstrecke von Jossa nach Bad Brückenau am 9. Oktober 1891, für viele zu spät, da sie für den wirtschaftlichen Aufschwung lange vorher ersehnt wurde. Der Ururgroßvater Joseph Dunkel machte seiner Enttäuschung über die Bahnplanungen in Versen  Luft, die er 1879 im Vorjahr begründeten Brückenauer Anzeiger veröffentlichte:

Das Maintal, erst schon Wasserstraße,

durchbraust längst stündlich laut der Dampf.

So gab man auch der kleinen Wern

gleich nebenan die Bahn recht gern.

Damit das Saalthal Dampf durchrase,

das gab schon einen härt’ren Kampf.-

Und dir, o Sinn! – Dir armen Rhön!

Euch gab man nichts! – Ist’s recht? – Ist’s schön?

U.A.W.G. (Um Antwort wird gebeten!)

Erweiterung der Sinntalbahn nach Wildflecken

Sein Sohn Luitpold Dunkel durfte nicht nur die Eröffnung der Bahnstrecke bis Bad Brückenau 1891 erleben, sondern die für Römershag bedeutsamere Erweiterung bis Wildflecken 1908. Bereits 1906 wurde das stille obere Sinntal von einer lauten Geschäftigkeit heimgesucht. Der Bau der Eisenbahn Brückenau-Wildflecken hatte begonnen und viele Bautrupps durchzogen Römershag oder zechten beim „Breitenbach“. Auch Fremdarbeiter, Italiener, waren darunter. Für die Schneidmühle brachte der Bahnhof Römershag eine Frachterleichterung.

Die erhoffte wirtschaftliche Ausnutzung der Eisenbahnstrecke Brückenau-Wildflecken blieb aus. Aufschwung, Arbeitsplätze und Verdienste im eigentlichen Sinne, brachte die Nebenlinie nur dem Basaltwerk in Oberriedenberg, das mit Großaufträgen aus Holland gut ausgelastet war. Die Geschäftswelt in Brückenau und im oberen Sinngrund, die die Verkehrsschließung letztlich mit gewissen Hoffnungen begrüßte, sah sich in ihren Erwartungen enttäuscht.

Verbindung der Kurbäder

Aus der Geschäftswelt kam deshalb ein weitgehender interessanter Vorschlag. Mit einer Eisenbahnverbindung sollten die einzelnen, teilweise erst im Aufbau befindlichen Rhönbadeorte untereinander näher gerückt und dem Kurgast die Benutzung der Einrichtungen verschiedener Badeorte und deren Heilquellen ermöglicht werden. Eine ähnliche Anregung war schon einmal nämlich in den 80-er Jahren, diskutiert worden. Damals dachte man an den Bau einer Schmalspurbahn von Bad Brückenau nach Bad Kissingen. Die Trassenführung sah vor, dass die Steigungen, die bei der Überwindung der Rhöner Bergkuppen nicht zu umgehen waren, mit eleganten Windungen allmählich erreicht und dabei möglichst viele Ortschaften, Höfe und Weiler berührt wurden. Diese Planung fand bei der Bayrischen Eisenbahnverwaltung keinerlei Unterstützung.

Das Eisenbahnkomitee der Bezirke Brückenau und Kissingen unter Vorsitz des Brückenauer Beigeordneten Josef Löhmer arbeitete 1912 eifrig an dem Vorschlag einer Kurbäder-Verbindung. Für Josef Löhmer arbeitete Luitpold Dunkel eine zweckmäßige Trassenführung aus. Dabei fand er heraus, dass auf Grund der Höhenknoten eine Gleisverlegung an der Tangente der Mettermich Vorteile bot und dort auf Dunkel’schem Besitz eine Verladestation für Vieh und landwirtschaftliche Erzeugnisse gebaut werden konnte. Das entsprechende Aufkommen war gegeben durch den großen Einraffshof, den Pilsterhof und die Gemeinden Mitgenfeld und Breitenbach. Leider wurde die eingerichtete Petition bei der Beratung der Lokalbahnvorlage im Plenum nicht berücksichtigt, weil sie nicht fristgemäß in den Einlauf der Kammer gelangt war. Schließlich machte der 1. Weltkrieg und dessen Auswirkungen alle derartigen Pläne zunichte.

Mit dem Hochrad über den Rhönexpress Bahnradweg?

Joseph Dunkels Hochrad 1974 beim Besitzerwechsel. Quelle: Brückenauer Anzeiger
Joseph Dunkels Hochrad 1974 beim Besitzerwechsel. Quelle: Brückenauer Anzeiger

Joseph Dunkel hätte der heutige Bahnradweg gefallen und sicher hätte er auch darauf sich einen Reim und uns seine Verse gemacht. In den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts kamen die Hochräder in Mode und Joseph Dunkel war einer der ersten im Sinngrund, der sich ein solches Gefährt zulegte. Auf der ebenen Strecke zwischen Römershag und Brückenau soll er mit großem Vergnügen geradelt sein. Sicherlich sah er darin neben dem Spaß auch den Nutzen für seine Ausflüge nach Brückenau.  Das Vergnügen wäre auf der neu asphaltierten Strecke des Bahnradwegs sicher noch größer.  Das Hochrad blieb über 100 Jahre in der Familie, bis es Hilda Dunkel 1974  an Stadtrat Josef Huppmann (+ 1988) verkaufte, dessen Nachfahren es bis heute in Ehren halten. Vielleicht findet es ja auch einmal den Weg auf den Rhönexpress-Bahnradweg.

Das Buch zur Mühlen-, Familien- und Ortsgeschichte

Diese Website verdankt sich den Aufzeichnungen meines Vaters aus der Zeit, als die Schneidmühle erst verkauft und dann abgerissen wurde. Ich wollte diese Aufzeichnungen als Teil der Ortsgeschichte Römershags über die Familie hinaus zugänglich machen. Ein Ergebnis sind die Darstellung auf dieser Website. Seit letzter Woche liegt als weiteres Ergebnis die Buchausgabe vor: „Die Schneidmühle in Römershag. Eine Rückbesinnung auf die Ahnen der Familie Dunkel.“ (ISBN 9783748518341)
500 Jahre Geschichte eines Ortsteils von Bad Brückenau in der Rhön bündeln sich in einem Gebäude, das ursprünglich als Zehntscheune errichtet seine Bestimmung als Schneidmühle fand. Edgar G. Kuther, über seine Mutter, eine geborene Dunkel, mit der Mühle von Kindheitstagen an vertraut, erzählt ihre Geschichte als Familiensaga.
Die Reise geht zurück in die Geschichte des Klosters Fulda, das gegen die Begehrlichkeiten des Würzburger Nachbarbischofs und zur Sicherung der eigenen Handelswege Befestigungen anlegen ließ, zu denen die Talburg aus dem 12. Jahrhundert zählt, um die herum als Gutshof der Kern Römershags entstand. Die Familiensaga kreuzt sich mit der Ortsgeschichte in den napoleonischen Wirren, als der Urahn Georg Dunkel Schultheiß der Gemeinde ist. An ihn erinnert das Kreuz auf dem Römershager Friedhof, so wie das Kreuz im „Anstaltswäldchen“ von seinem Sohn Kaspar Dunkel gestiftet ist. In der nächsten Generationen tauchen mit Joseph Dunkel, dem „Alten vom Berg“, die Bezüge zur sagenhafte Mettermich mit ihrer keltischen Burg auf.  Römershag wird im Zuge der altkatholischen Reaktion auf das 1. Vatikanische Konzil mit ihm zum „Döllinger-Nest“. In der Blütezeit der Schneidmühle unter Luitpold Dunkel wird eine Eisenbahntrasse von Bad Brückenau über Römershag und über die Mettermich nach Bad Kissingen zwar knapp verfehlt, aber neue Technik hält in Gestalt einer Wasserleitung und durch die von der Mühle ausgehenden Elektrifizierung Einzug. Danach beschreibt die Familiensaga den tragischen Niedergang der Familie, der sein äußeres Zeichen im Abriss der Schneidmühle findet.
Nach der Auferstehung der Mühle durch die ihr gewidmete Website erscheint das Buch rechtzeitig vor der angekündigten Aufstellung der ersten Tafel „Historisches Römershag“ am alten Standort der Schneidmühle zwischen fürstbischöflichen Schloss (heute Alten-und Pflegeheim) und heutigem Gymnasium (ehem. Haus- und Obstwiese der Mühle).
Bestellen kann man das Buch über die Buchhandlungen oder über epubli und die dort angegebenen Händler: Buch bestellen.