Ein Blick in die Schneidmühle

Mein Vater Edgar G. Kuther hat 1982 einen Grundriss der Schneidmühle gezeichnet, der einen Eindruck zur Lage der gewerblichen und privaten Räume vermittelt.

Grundriss Schneidmühle - Zeichnung Edgar G. Kuther 1982
Grundriss Schneidmühle – Zeichnung Edgar G. Kuther 1982

Zehntscheune mit Lager und Keller

Gut zu erkennen ist das Hauptgebäude der Schneidmühle, das bei der Errichtung im 16. Jahrhundert ausschließlich als Zehntscheune des Gutshofes konzipiert. Mit 35 Meter Länge, 11,5 Meter Breite und fast 11 Meter Firsthöhe entsprach das Gebäude der fränkischen Bauart mit breit ausladendem Satteldach. Nur die in südlicher Gegend anzutreffenden Dachgauben fehlten –  sicherlich wegen der durch die rauen Witterungsverhältnisse in der Rhön bedingten Reparaturanfälligkeit.

Der Schlossneubau am linken, südlichen Sinnufer um 1650 brachte einige Änderungen für den seither hermetisch abgeschlossenen Gutshof mit sich, als dessen Zehntscheune die Schneidmühle ursprünglich gebaut worden war. Der Einbau eines Triebwerkes unter und innerhalb der der Sinn zugekehrten Gebäudestirnseite (im Plan links) bot sich im Zusammenhang der Sinnregulierung im Bereich der Zufahrt zum neuen Schloss an. Die Neubauten des Schlosses hatten auch genügend, vielleicht besseren Lagerraum, sodass die Nutzung als Zehntscheune an Bedeutung verlor.

Fundamente im Mühlgraben freigelegt beim Abriss 1977
Fundamente im Mühlgraben freigelegt beim Abriss 1977

Die Gewölbe und die Fundamentmauern in der Wasserradkammer wurden wohl mit den Sandsteinblöcken der ehemaligen Wehranlage der Talburg, die waffentechnisch bedeutungslos geworden war, erstellt. Gleiches gilt auch für die noch heute sichtbare Uferbewehrung am Sinnübergang und die Einfassung des neugeschaffenen Mühlgrabens zur Zehntscheune.  Dass die Wehranlage selbst und Teile der alten Talburg als Baumaterial verwendet wurden, lässt sich auch an den Steinen mit Schießscharten, die in der Friedhofsmauer eingelassen sind, erahnen.

Pochkammer für die benachbarte Krugbäckerei

Letzte Kammräder des Triebwerks
Letzte Kammräder des Triebwerks

Mit der Ingangsetzung des Triebwerkes tritt die ehemalige Zehntscheune für einige Jahrzehnte als Ölmühle in Erscheinung. Nach der Übernahme der direkten Verwaltung des Gutshofes durch die Abtei Fulda im Jahre 1692, fanden sich die Krugbäcker am Ort ein. Die Ölmühle wandelte sich jetzt zu einem Pochwerk für Tonerde. Die Pochkammer ist auf dem Plan oben als Anbau längs des Mühlgrabens zu sehen. Die Ausrüstung als Pochwerk erlaubte auch die gleichzeitige Benutzung für die Papiererzeugung damaliger Fertigung. Die sogenannte Insel zwischen Mühlgraben und der Sinn bei der Schneidmühle erhielt damals auch die Bezeichnung „Bleichinsel“.

Schneidstraße parallel zum Mühlgraben

Der nächste Entwicklungsschritt erfolgte etwa um das Jahr 1760. Der Auf- und Ausbau des von Seiten Fuldaer Landesherren stetig geförderten Kurbades Brückenau brachte eine enorme Bautätigkeit mit sich. Nichts lag näher, als dass sich die Verwaltung eigener Zulieferbetriebe bediente. Die Mühle erhielt die Ausrüstung einer mechanischen Säge, ein Einfachgatter, und dieser Umstand führte zur Namensgebung als „Schneid“-Mühle, hergeleitet vom Tätigkeitsmerkmal. Die „Schneidstraße“ mit dem auf dem Fundament aufsitzenden  Gatter ist mit grüner Farbe auf dem Plan eingezeichnet. Sie behielt ihre Lage über 200 Jahre. Lediglich die vorgebaute Holzhalle wurde 1936 in Richtung Straße erweitert.

Mühlsteine der Schrotmühle 1977 nach dem Abriss
Mühlsteine der Schrotmühle 1977 nach dem Abriss

Den größten Raum auf dem Grundriss nimmt die eigentliche Mahl-Mühle ein, etwa links der Mitte. Direkt dem Raum vorgelagert befand sich der später betonierte Platz zur Mehlverladung.

Kuhstall und Werkhalle

Ganz rechts auf dem Plan sind Vorratskeller und Kuhstall zu sehen. Das aus der Zehntzeit stammende Kellergewölbe unter der westlichen Stirnseite des Gebäudes wurde vom Schneidmüller Luitpold Dunkel um 1900 zu einem Viehstall für sechs Kühe umfunktioniert und die Futterzufuhr von dem darüber liegenden Heuboden mechanisiert. Er nahm auch die optisch einschneidendste Veränderung an der Form der alten Zentscheune vor: das lange Satteldach wurde durch eine große, repräsentative Quergaube im Mittelteil des Gebäudes durchbrochen und prägte ab 1905 das Bild der Schneidmühle. Ebenfalls veränderte der Anbau einer Werkhalle an der Sinnseite die äußere Silhouette. Bis 1915 hatte darin die Fertigung von Zement-Kunststein-Erzeugnissen von einem Vertragspartner ihren Raum.

Wohnzimmer und Büro

Weiter sind auf der rechten Seite des Grundrisses die privaten Räume zu sehen: Küche, Wohnzimmer, Zimmer und Büro. In den Etagen darüber ebenfalls Zimmer (im Plan rot eingezeichnet). Im Wohnzimmer wurden die Feste begangen. Auf dem einzigen erhaltenen Bild von 1920 ist es die Hochzeit von Carola Dunkel mit Eugen Kuther.

Hochzeitsbild Carola und Eugen Wohnzimmer 23.09.1920
Hochzeitsbild Carola und Eugen Wohnzimmer 23.09.1920

Das nebenan liegende Büro war die Schaltstelle des unternehmerischen und dichterischen Schaffens von Luitpold Dunkel, bis er 1935 verstarb. Von da an wollten die Nachkommen im Hause, dass das Zimmer verschlossen bleibt und nicht mehr genutzt wird. Als Junge habe ich 1975 selbst erlebt, als es bei der Räumung erstmals nach 40 Jahren geöffnet wurde.

Toiletten

Die im Plan oben als Lager und Badezimmer bezeichneten Räume wurden Anfang April 1945 zerstört, als Teile einer Waffen-SS-Division sich in Römershag festsetzten und eine unsinnige Verteidigungsphase begannen.  Die inzwischen aus der Höhe Roßbach-Weißenbrunn eingetroffene amerikanische Artillerie begann mit materieller Überlegenheit den Widerstand in und um Römershag zu brechen. Die SS-Truppen bereiteten die Sprengung der Sinnbrücke vor. Die Schneidmühle lag genau in der Schusslinie der Artilleriegeschütze und wurde bereits bei der ersten Salve getroffen. Weitere Anschläge folgten und richteten erheblichen Schaden im Dachgebälk und am Mauerwerk an. Der rückseitige Anbau zum Wohngebäude mit den Toiletten wurde ebenso wie der danebenliegende Lagerraum zusammengeschossen. Eine Granate schlug im Sägewerk ein und beschädigte die Wasserkraftanlage. Eine weitere durchschlug den Heuboden und explodierte im Futterschacht des Stalles. Die Kriegsschäden am Gebäude und an den Betriebseinrichtungen konnten nur teilweise und auch nur notdürftig behoben werden. Der einzig hinterbliebene Schneidmüller Erwin Dunkel hatte unter Einbeziehung eines Bauingenieurs aus Breitenbach ein Baugesuch zur Instandsetzung gestellt, welches vom Landratsamt 1948 zurückgestellt wurde. Es fehlte in der allgemeinen Zwangsbewirtschaftung an Material und Ware. Ich erinnere mich, dass auch um 1970 der Toilettengang beim Besuch in der Schneidmühle durchs Freie führte.

Mühle von hinten 1974
Mühle von hinten 1974

Ritter Kunz von Tann

Kaspar Gartenhof 1912
Kaspar Gartenhof 1912

In den Unterlagen der Schneidmühle zu Römershag fand sich das Typoskript einer von  Kaspar Gartenhof (1883-1952) bearbeiteten Rhönsage. Die Sage passt für eine Zehntscheune, der Tann’schen Ritter, als welche die Schneidmühle im 16. Jahrhundert  entworfen und gebaut wurde, lange bevor sie mit dem Einbau eines Triebwerkes neue Zwecke zu erfüllen hatte. Als sagenhafte Beschreibung des angespannten Verhältnisses zwischen dem Lehensherrn Fürstbischof in Fulda und dem nach Eigenständigkeit strebenden Rittergeschlecht  von Tann möchte ich sie hier zur Verfügung stellen.

 

Des Ritters Kunz Ritt nach Fulda

Eine Rhönsage bearbeitet von Kaspar Gartenhof.

Ecce tibi nisi veneris amicus
Ecce tibi nisi veneris amicus

In der unterfränkischen Kreisanstalt für Unheilbare zu Römershag, einem ehemaligen Jagdschlosse der Fürstäbte von Fulda, befindet sich über einem der vom innern Hofe aus zuführenden Eingänge der aus Sandstein gearbeitete Kopf eines Mannes mit der wenig friedlich klingenden Unterschrift: Vae tibi, nisi veneris amicus! (Weh dir, wenn du nicht als Freund kommst!) Die Fama behauptet, es sei dies der Kopf des Raubritters Kunz, der hier vor Zeiten gehaust, und von dessen wilder Grausamkeit und tollem Wagemut noch heute manche Sage und manches Lied erzählt und singt.

 

Ritter Kunz von Tann Schloss Römershag
Ritter Kunz von Tann Schloss Römershag

Eines Abends saß Ritter Kunz mit seinen Zechkumpanen, den ritterlichen Räubern von Schildeck und Werberg, zusammen, und sie sprachen fleißig den riesigen Humpen zu, als die Rede auf den Abt von Fulda kam, den Ritter Kunz gar oft schon an Leuten und Gut schwer geschädigt hatte. Des edlen Weines voll, der aus einer fürstäbtlichen Kellerei stammte, rühmte er sich seiner schändlichen Taten und vermaß sich, deren noch schlimmere vollbringen und besonders den Mönchen in Fulda noch üblere Streich spielen zu wollen als bisher. Zuletzt verstieg er sich zu der Behauptung, dass er willens sei, noch diese Nacht durch Wälder und Felder nach Fulda zu reiten, um aus der fürstäbtlichen Bäckerei einen der Wecken zu holen, die zum Frühstück des Abts bestimmt seien, und ihn noch warm in seine Burg zu bringen. Das schien denn seinen Genossen doch zu sehr geprahlt und es fielen Ausdrücke, die versteckt darauf anspielten. Kaum merkte dies Ritter Kunz, so stand er zornig auf, schlug mit der Faust auf den Tisch und schwur, sofort werde er sein Vorhaben ausführen; sie sollten sich nur einige Stunden gedulden, und sie könnten von dem frischen Brot des Abts kosten. Hierauf jagte er seinen Knappen aus dem Schlafe, befahl ihm, seinen Rappen zu schirren und Schwert und Rüstung zu bringen. Nach wenigen Minuten saß er zu Pferde und sprengte zum Erstaunenseiner Kumpane aus dem Tore in die mondhelle Nacht hinein, gefolgt von einem gewaltigen schwarzen Hunde, den er auf seinen Streifzügen immer mit sich zu führen pflegte.

 

Es war der verwegenste Ritt, den Ritter Kunz bis jetzt getan. Wie irrsinnig sprengte er durch die Wälder und saatenbestandenen Felder, als ob dreihundert Reiter ihm auf den Fersen säßen. Nach wenigen Stunden kam er vor Fulda an, setzte in kühnem Sprung mit Ross und Hund an der niedrigsten Stelle über die Stadtmauer, ohne dass die sorglos schlafenden Wächter erwachten und ritt durch die totenstillen Straßen zur fürstäbtlichen Bäckerei. Dort hatte man sich eben an die Arbeit begeben, als zum gewaltigen Schrecken der Leute Ritter Kunz unter der Türe erschien. Sein Pferd hatte er vor dem Eingang an eine Säule gebunden und ihm den Hund als treuen Wächter beigestellt. Anfangs hielten die Leute den Ritter für ein Gespenst; doch als er ruhig sein Schwert zog und ihnen befahl, ohne jeden Lärm die gewöhnliche Arbeit rasch zu vollenden, wenn ihnen das Leben lieb sei, da fielen sie auf die Knie nieder und versprachen alles zu tun, nur solle er sie an Leib und Leben schonen. Zitternd führten sie sodann ihre Arbeit aus, kneteten Teig, formten die Wecken und schossen sie in den Ofen ein. Den ersten Wecken der gut gebachen war, ließ Kunz sich reichen, eilte damit, nachdem er die Tür, wo er immer gestanden, hinter sich verschlossen hatte, zu seinem Pferde, schwang sich hinauf und sprengte zur Stadtmauer zurück, wo die Wächter immer noch schliefen. Als er aber über die Mauer setzte, streifte das Pferd mit den Hinterhufen die Krönung, so dass sich einige Steine loslösten und polternd in die Tiefe stürzten. Da erwachten die Wächter und erkannten bei dem hellen Mondenschein in dem Davonsprengenden den Ritter Kunz. Ein gewaltiger Lärm erhob sich nun in dessen Rücken, im Nu öffnete die Stadt ihre Tore, und man sandte ihm ein Dutzend Verfolger nach. Kunz aber kümmerte sich nicht um sie, sondern jagte mit rasender Schnelligkeit weiter, seinen Wecken fest haltend, den er noch warm nach seiner Burg bringen wollte. Bald ließen die fürstäbtlichen Reiter, erschöpft durch den Ritt auf Leben und Tod, von der nutzlosen Verfolgung ab und kehrten nach Fulda zurück. Ritter Kunz kam noch bei Tagesgrauen in seiner Burg an, wo seine Genossen die Nacht durchzecht hatten, begierig auf den Ausgang der Dinge. Sie waren nicht wenig überrascht, als der Ritter zu ihnen eintrat und lachend jedem ein Stück des frisch duftenden Gebäcks zu kosten gab, dessen Feinheit den Ofen verriet, in dem es gebachen. Nie mehr wagten sie es, an ihres Kumpans Worte zu zweifeln und wenn sie auch noch so prahlerisch klagen; wollten sie aber irgend eines Genossen Verwegenheit und Schnelligkeit im Reiten überschwenglich preisen, so sagten sie: „Der reitet wie Ritter Kunz und holt den Wecken aus Fulda.“

 

Die Erinnerung an den kühnen Ritt, bei dem Herr Kunz den warmen Wecken holte, lebt auch noch in einem Liede fort, das in der Brückenauer Gegend den Kindern als etwas derbes Schaukellied gesungen wird:

Troll, troll, troll!
Der Reiter reit noach Foll,

Der Reiter reit noach Fliede.
Murge kömmt er wieder

Brengt ‚m Madie ’n Weck
on dem Moa ’n Dreck.

Der Ritter Kunz, der nach dieser Fahrt noch lange lebte, noch einen abenteuerlichen Zug in die Türkei unternahm und noch viele Grausamkeiten verübte bis er seinen Meister und Richter fand, muss zur Strafe für sein gottloses Leben der Grabesruhe entbehren und an den Orten seiner Taten umherwandeln. So hat ihn schon manch einer zu heiligen Zeiten in mondscheinhellen Nächten wie wütend über die Felder in der Richtung gegen Fulda reiten sehen, gefolgt von seinem riesigen, heiser  bellenden Hunde, dessen glühende Augen sich wie feurige Räder im Kopfe drehen.

 

 

Stammbaum ergänzt

Der Aufruf, mir Hinweise zur Geschichte der Dunkels und zur Schneidmühle in Römershag zu geben, ist immer wieder erfolgreich. Hat sich kürzlich mit Georg Dunkel ein Enkel zu Josef Dunkel (+1965) aus München bei mir gemeldet, so ist es nun ein Ururenkel einer Schwester von Joseph Dunkel (1824-1902), der den Stammbaum der Dunkels ergänzen hilft. Dr. Kurt Schunck aus Hamburg ließ mich eine weitere Tochter

Josefa Holl, geb. Dunkel, 1855 (c) Schunck
Josefa Holl, geb. Dunkel, 1855 (c) Schunck

Kaspar Dunkels (1797-1876) und seiner Frau Regina (1800-1874) entdecken. Mein Vater hatte in seinen Aufzeichnungen die Söhne aufgezählt: Joseph Johann, Johann Baptist, Adalbert und Johann, die allesamt Papiermacher und Müller wurden, und Eduard, der Buchbinder in Brückenau wurde.  Dazu kam die Tochter, die in eine Bäckerei in Brückenau einheiratete und kinderlos blieb. Aus den Hinweisen von Dr. Schunck entnehme ich nun ihren Namen Isabella. Und der wichtigste Hinweis ist der auf die weitere Tochter, zu der mein Vater keinerlei Papiere hatte: Josefa Holl, geb. Dunkel (1828-1906). Sie heiratete den Gerichtsschreiber Eberhard Holl in Aschaffenburg und war selbst Gerichtssekretärin. Dankbar bin ich auch für die gut erhaltenen Bilder aus jener Zeit. Oben ist sie mit ihrem Mann Eberhard Holl und den ersten drei (von sechs) Kindern.

Josefa Holl, geb. Dunkel. 1888 (c) Schunck
Josefa Holl, geb. Dunkel, 1888 (c) Schunck

Der Zeitungsleser

Vom Ururgroßvater Joseph Dunkel kenne ich die Lebensdaten ( 1824 – 1902) und weitere Eckdaten seiner Biographie. Doch was dachte er, was bewegte ihn, was glaubte er, was gärte in ihm, was war seine Einstellung zur politischen Entwicklung in bewegter Zeit (Revolutionsjahr 1848, preußisch-österreichischer Krieg von 1866, Reichsgründung 1871)? Ein Schlüssel, der ihn und seine geistige Entwicklung verstehen hilft, ist seine Lektüre von Zeitungen und ihrer belletristisch-unterhaltenden Beilagen.

Über die Ereignisse der Revolutions- und Reaktionsjahre nach 1848 informierte Joseph Dunkel sich eifrig anhand verschiedener Zeitungsblätter. Das Geschehen in und um die deutschen Lande verfolgte er aufmerksam mit einer national-liberalen Grundeinstellung. Verschiedene Tageszeitungen bzw. ihre Beilagen waren ständig von ihm abonniert. Die Beilagen, die damals sehr in Mode und geschätzt waren, wurden in Jahrgangsbände gebunden. Die Einbände stammen vom Bruder Eduard Dunkel, der in Brückenau Buchbinder war. Etlich Jahrgänge von 1837 bis 1875 sind erhalten geblieben:

  • „Frankfurter Konversationsblatt“
  • „Fränkisches Unterhaltungsblatt“
  • „Fränkisches Conversationsblatt“
  • „Erheiterungen“
  • „Der Sammler“

Aber auch

  • „Der bayerische Eilbote“
  • „Des Lahrer hinkenden Boten“
  • „Würzburger Journal-Sibylle“
  • „Das Familienblatt“

waren wohl abonniert gewesen. Interessant an den Beilagen ist die Mischung aus Fortsetzungsromanen, aktuellen Berichten von Korrespondenten aus aller Welt, populär zusammengefassten Erkenntnissen verschiedener Disziplinen der Wissenschaft, Gedichten, Humoristischem etc.

Joseph Dunkels Gedicht "Eva"
Joseph Dunkels Gedicht „Eva“

Zur Information und zur Unterhaltung hielt sich bereits Josephs Vater Kaspar Dunkel einige Zeitschriften, was eine teure, aber richtige Investition in jener Zeit war. Ein erhalten gebliebener, gebundener Jahrgang des „Frankfurter Conversationsblattes 1837“ erinnert an die abendliche Lesestunde bei Kerzenlicht in der Wohnstube.

Warum Joseph Dunkel die Umschlagseiten einiger Jahrgangsbände nutzte, um darin mit Tinte oder Bleistift Gedichte niederzuschreiben, bleibt offen. Papiermangel kann es in einer Papiermacherfamilie nicht gewesen sein. Eher vielleicht der Drang, nicht nur lesend aufzunehmen, sondern poetisch kreativ zu verarbeiten. Vielleicht auch, um den Gedichte im Einband Dauer zu verleihen.

Edgar Gilbert Kuther

Vor einem Jahr habe ich bereits an meinen Vater erinnert, auf dessen Nachlass die Anregung zu dieser Website und zur Beschäftigung mit der Familie Dunkel in Römershag zurückgeht. Seine Lebensdaten möchte ich in dankbarer Erinnerung hier wiedergeben.  Eine etwas ausführlichere Biografie  ist in diesem Zusammenhang ebenfalls entstanden.

1927                              Am 7. Mai Geburt in Würzburg als zweites von drei Kindern des Lehrers Eugen Kuther und der Hausfrau Carola Kuther, geb. Dunkel.

Edgar Kuther 1931 am Schulhaus Oberndorf
Edgar Kuther 1931 am Schulhaus Oberndorf

1933 bis 1939     Volkschule in Oberndorf/Spessart

1939 bis 1943     Aufbauschule in Würzburg

1944 bis 1945     Soldat an der Westfront und Verwundung

1945 bis 1946     Maschinenbaupraktikum in der Schneidmühle in Römershag/Rhön

1946 bis 1947     Angestellter (Dolmetscher) bei der amerikanischen Militärregierung Brückenau

1948                      Techniker im Biohum-Werk Rathsmann & Co. KG in Menden

1949                      Arbeitslosigkeit

1950 bis 1951     Studium Maschinenbau am Balthasar-Neumann-Polytechnikum in Würzburg

1951 bis 1953     Studium Maschinenbau an der Städtischen Ingenieurschule in Darmstadt

1953 bis 1959     Ingenieur bei Klein, Schanzlin und Becker AG (KSB) in Frankenthal, Berlin und Koblenz

Hochzeit Gertrud und Edgar Kuther 1955
Hochzeit Gertrud und Edgar Kuther 1955

1955                      Heirat mit Gertrud Rosel Kuther, geb. Ries

1955                      Geburt Sohn Hanns-Jochen Winfried Kuther

1960 bis 1975     Oberingenieur bei Carl Schenck GmbH in Darmstadt und als Leiter des Außenbüros Mannheim

Edgar Kuther mit Tochter Brigitte und Eugen Kuther 1964
Edgar Kuther mit Tochter Brigitte und Eugen Kuther 1964

1963                      Geburt Sohn Ulrich Kuther

1964                      Geburt Tochter Brigitte Ingeborg Kuther

1965                      Einzug ins Eigenheim Am Schlangenpfad 4 in Viernheim

Edgar und Gertrud Kuther 1974
Edgar und Gertrud Kuther 1974

1975 bis 1977     Arbeitslosigkeit und Niederschrift der Geschichte der Schneidmühle zu Römershag

1978 bis 1983     Ingenieur im Ingenieurbüro Fleischer in Mannheim

1987                      Renteneintritt

Edgar Kuther, Carola Kuther, geb. Dunkel und Winfried Kuther 1988.
Edgar Kuther, Carola Kuther, geb. Dunkel und Winfried Kuther 1988.

1990                     Tod von Mutter Carola, geb. Dunkel

2008                      Tod der Ehefrau Gertrud Kuther

2009                      Tod des Sohnes Hanns-Jochen Kuther

2014                      Am 8. Dezember im Mannheimer Universitätsklinikum verstorben.

 

Der Alte von der Rhön

Das Jahr neigt sich dem Ende. Diese Seite ist noch längst nicht am Ende.  Manches konnte ich in diesem Jahr zusammentragen und danke für alle Hinweise, die ich bekommen habe. Besonders habe ich mich über ein Bild gefreut, das mir Jürgen Hüfner zukommen ließ. Das Porträt stellt mir nun beim langen Blick in die Familiengeschichte ein bislang unbekanntes Gesicht vor Augen.

Joseph Dunkel
Joseph Dunkel

Joseph Johann Dunkel (1824 – 1902), mein Ururgroßvater zieht mich mit jeder Seite, die ich neu von ihm erfahre und entdecke, mehr in seinen Bann. Begründer des Stammsitzes in der Schneidmühle, Autodidakt, Papiermacher, Müller, Händler, Techniker, Unternehmer, Dichter, Freigeist, Altkatholik, Eroberer der Mettermich, Aufforster, Waldliebhaber, Hochradfahrer, Zeitungsleser, Pfeifenraucher, wacher Zeitgenosse…

In seiner Schneidmühle  baute sich Joseph Dunkel selbst ein Wasserrad aus Holz, das  jahrzehntelang seinen Dienst tat. Bei seiner umfangreichen Tätigkeit half ihm die unbeirrbar eingehaltene gleichmäßige Arbeitszeit. Als Frühaufsteher begann er bereits um 4.00 Uhr mit seiner Tätigkeit und beendete diese pünktlich um 16.00 Uhr. Der frühe Feierabend ließ ihm dann noch Zeit für eine Lesestunde oder für ein Gedicht, das ihm beim Takt der Säge eingefallen war. An bestimmten Tagen ging er in korrekter Kleidung zu seinem Stammtisch. Dort warteten bereits der Apotheker, der Amtsrichter, der Lehrer und manchmal auch der Pfarrer auf ihn.

Leider gingen viele seiner Gedichte und Niederschriften im Laufe der Zeit und durch Generationswechsel verloren. Es lag auch nicht in der Absicht des „Dichtermüllers“, wie er auch genannt wurde, eine Sammlung anzulegen. Ihm ging es vielmehr um die Freude an der Ausdrucksweise, die er sich selbst mit Neigung aber auch mit viel Fleiß beibrachte. Seinen Rhönern begegnete er mit einfachen Versen. Der neu begründete „Brückenauer Anzeiger“ veröffentlichte das eine oder andere Gedicht von ihm, das nie namentlich, sondern immer mit den Zeichen * * unterschrieben waren.

Die Linde, die er vor der Schneidmühle pflanzte und die 1977 hundertjährig zu Fall gebracht wurde, setzte er auch dichterisch vor seine „Hütte“:

Am Hüttchen klein steht groß ein Baum,
vor welchem du siehst das Hüttchen kaum,
schützt gegen Sonne, Kält und Wind
all, die darin versammelt sind.
Solang die Linde bleibet stehn,
wird mein Geschlecht zur Hütte gehn.
Den lieben Herrgott laß ich walten,
der Lind und Leute kann erhalten.
* *

Als er die Mühle seinem Sohn übergeben hatte, weilte er kurze Zeit bei der Tochter in Bamberg. Lange hielt er es dort nicht aus. Seine Sehnsucht nach der Rhön kleidete er in ein „Klagelied der Ofenbank“:

So einsam und verlassen
steh‘ ich so manchmal hier,
ich kann mich kaum noch fassen,
verzweifeln könnt‘ ich schier.
Wenn ich der früheren Zeit gedenk‘

als Pfeife rauchend (er) auf mir saß,
im Plaudern oft das Zieh’n vergaß.
Wie war es da so wunderschön,
das war der Alte von der Rhön.
… so denk ich oft in harter Pein
s‘ kann nicht von langer Dauer sein.
Dann wird es wieder (glatt) und klar,
so wie’s vergang’ner Zeiten war.
Wenn Er nur erst mal wiederkäm‘,
der Alte von der Rhön-.
… Verzage nicht! Schau nur die Sterne an,
voll Frieden ziehn sie ihre ferne Bahn,
es bricht, durch dunkle Nacht,
noch immer neues Licht“
So will ich mich denn fassen – nicht mehr klagen,
voll Hoffnung will ich in die Zukunft sehen,
erst wenn im Wald die Vögel singen, schlagen,
dann wird vom Stadtgetümmel, er wieder zu uns gehen.
Denn er liebt die Natur, und seine Mettermich
und ehe er zu ihr geht, wird er besuchen mich.
… Wenn ich bitten darf, bleib nicht so lang,
besten Gruß, die alte Ofenbank!
* *

 

Römershager Geschichte am Leben erhalten

Unter diesem Titel erschien in der Main-Post und in der Saale-Zeitung ein schöner Artikel, der nach einem ausführlichen Gespräch mit der Redakteurin Julia Raab entstanden ist. Sie schreibt:

Ulrich Kuther am alten Standort der Schneidmühle. BILD: Julia Raab.

Ulrich Kuther ist weder in Bad Brückenau geboren, noch lebt er hier in der Region. Dennoch ist er mit dem Ortsteil Römershag eng verflochten. Und das umso mehr, seit sein Vater, Edgar G. Kuther, im Jahre 2014 verstarb. Bei der Durchsicht seines Nachlasses fand der Sohn schriftliche Aufzeichnungen und ortsgeschichtliche Dokumente über Römershag, die er mit großer Sorgfalt sammelte und niederschrieb.

Aus der Müllerfamilie Dunkel entstammt Ulrich Kuthers Großmutter, Carola Dunkel, eine von acht Kindern von Luitpold Dunkel, dem Schneidmühlenbesitzer aus Römershag. Die Geschichte der Familie Dunkel aus Römershag selbst ist bis 1847 sicher zurückzuverfolgen. „Vor dieser Zeit ist die Datenlage allerdings nicht eindeutig“, sagt Kuther.

Als kleiner Bub war der heute 54-jährige Theologe noch einige Male in den Ferien auf dem Mühlengrundstück unterwegs gewesen. Genau an der Stelle der Mühle ist heute die Zufahrt zum Schulzentrum mit dem Namen Dr.-Melchior-Adam-Weikard-Straße. Viele Obstbäume standen im großen Garten der Mühle, denn der Obstanbau war ein weiterer Schwerpunkt seines Urgroßvaters und Mühlenbesitzers Luitpold Dunkel. Heute deuten lediglich ein trockener Mühlgraben und ein steinerner Steg auf die ehemals bedeutende Mühle hin. „Nach dem Abriss im Jahre 1977 hat man vor allem an das entstehende Schulzentrum gedacht und weniger an den Erhalt der geschichtsträchtigen Mühle“, sagt Kuther. Verständlich, meint er, aber wenig weitsichtig, denn die Mühlengeschichte gehöre zum Ort dazu wie die alte Krugfabrik, von der ebenfalls nichts übrig ist.

Schade, denn betrachtet man heute die Durchfahrtsstraße von Römershag, dann scheint die alte Zeit unwiderruflich gelöscht zu sein. Das dürfe nicht passieren, meint Kuther. Denn Verlust ist gleichbedeutend mit Vergessen. Und das war noch nie der richtige Weg. „Ich fände es angemessen, wenn eine Tafel, die über die Geschichte des Ortsteiles mit den alten Wirtschaftszweigen informiert, aufgestellt wird“, sagt er. Damit findet er Anklang beim Ortssprecher und dritten Bürgermeister Dieter Seban. „Die Idee finde ich gut, aber wir sind noch in der offenen Planung“, sagt Seban zum
Fortschritt der Gespräche.

In der Aufarbeitung des Materials kommt Kuther seinem verstorbenen Vater näher, deshalb hat er es zu seinem Hobby gemacht. „In erster Linie möchte ich das Material zugänglich machen, damit es für die Nachwelt erhalten bleibt“, sagt Kuther, der in Bensheim Geschäftsführer einer Stiftung ist. Nach Veröffentlichung der Aufzeichnungen sollen diese dem Archiv von Bad Brückenau übergeben werden. „Dort sind sie am besten aufgehoben“, ist er sich sicher.

Dieter Sternecker vom städtischen Kulturbüro ist von Kuthers historischer Aufarbeitung begeistert. „Die Mühlen waren in Bad Brückenau ein ganz wichtiges Gewerbe“, sagt Sternecker. Für die Kernstadt habe Kaspar Gartenhof (1883-1952) wichtige geschichtliche Beiträge bezüglich der Mühlen erarbeitet. „Doch die Römershager Mühlen fehlen dort“, sagt der Leiter des Stadtarchivs. Passend, denn Kaspar Gartenhof war für Kuthers Vater zeitweise „eine Art väterlicher Freund, in der Zeit, da er den eigenen Vater wegen Einberufung vermisste“, schreibt Ulrich Kuther im Vorwort der Aufzeichnungen. Diese, für den Ort wichtigen Zeitdokumente werden in Zukunft ihren Platz im Stadtarchiv finden.

Schneidmühle in Römershag

Geschichte: Von 1847 bis 1974 war die Schneidmühle im Besitz der Familie Dunkel. Die Blütezeit erlebte sie von den 1890er Jahren bis 1935 unter Luitpold Dunkel. Das Hauptgebäude der Schneidmühle war bei der Errichtung im 16. Jahrhundert ausschließlich als Zehntscheune konzipiert. Ab etwa 1650 verlor die Scheune – im Rahmen des Schlossbaus und durch Änderungen innerhalb des Gutshofs – ihre Bedeutung und wurde als Mühle verwendet (Ölmühle, Pochwerk, Papiermühle). Um 1760 bekam sie ihren Namen „Schneidmühle“. Der Betrieb wurde 1942 wegen Einberufung von Richert Dunkel stillgelegt.

Wald, Wasser und Wiesen in einer Nacherzählung

von Edgar G. Kuther, 11.09.1988

„Römershag ist eine ganz merkwürdige Siedlung. Kaum 300 Menschen leben dort, von grünen Waldhöhen eingeengt, aber alles ist Konzentration, Wille, Fortschritt. Hohe graue Giebelmauern im Dorfe erzählen von fuldaischer und tannischer Vergangenheit.

Die Sinn schießt ungebärdig daher, nachdem sie Wildflecken, Oberbach und den beiden Riedenberg eine stürmisch kurze Verbeugung gemacht. Allerlei hat sie auf ihrem hastigen Laufe bis hierher erlebt. Sie wärmt geschwätzig auch alte Geschichten auf. Ihr Erzählen von Begebenheiten verliert sich im Murmeln der klaren Wellen. In Römershag treibt sie Mühlräder, rauscht vorbei an einer Spinnerei, vorbei an der Wirtschaft Breitenbach, deren gewaltiger Laub-Baldachin freundlich in die heimelig-moderne Gaststube hineinkomplimentiert. In ihrem Wasser spiegelt sich aber auch ein Bau, dessen Inneres menschliches Elend birgt: das ehemalige tannische/ fuldaische Schloss, heute Kreisanstalt für Unheilbare“ (jetzt Pflege- und Altenheim, Anm. d. Verf.).

Diese Schilderung, aus dem Jahre 1926, war unter der Rubrik „Streifzüge durch Franken“ in einer Würzburger Zeitung zu lesen.

Wehr an der Sinn Zeichnung Edgar G. Kuther 1988
Wehr an der Sinn Zeichnung Edgar G. Kuther 1988

Vor dem ständigen, teils enormen Waldfrevel soll die Sinn mehr Wasser geführt haben. Radikale Kahlschläge in der „Buchonia“, den Waldungen rings um die Bergkuppen der Rhön, rächten sich. Die Wasserschüttung wurde im Jahresverlauf geringer, das im Frühjahr zu erwartende Hochwasser dafür umso heftiger und gefährlicher. In trockenen Jahren sank der Wasserspiegel rapide. Solches Niedrigwasser wirkte sich auch auf den Ertrag der Sinnauwiesen aus. Mit Bewässerungsgräben und sogenannten Wasserschützen sorgte man für einen Ausgleich in Maßen. Die noch in fuldaischer Zeit entstandenen Stauwehre fügten sich in die Idylle des Rhöntals ein. Eine Benutzungsregelung, gültig für die Domänenverwaltung in Römershag als auch für die Stadt Brückenau, sorgte für eine abgestimmte, vernünftige Wiesenbewässerung. Nach der Säkularisierung geriet die bis dahin bewährte Praxis in Unordnung.

Aufteilung, Verkauf und Verpachtung der Sinnauwiesen brachten andere Anrainer an die Sinn. Einige davon wollten durch häufiges Bewässern eine Ertragssteigerung herbeiführen. Dabei wurde manches Wiesenstück nur „sauer“ gewässert. Mit einher gingen Eingriffe, Übergriffe an Stauwehren und Wasserschützen. Ebenso wurden sporadisch Manipulationen – widerrechtlich – am Bewässerungssystem, aber auch am Sinnufer, vorgenommen.

Brückenauer Anzeiger 15.07.1897 Wassernutzung
Brückenauer Anzeiger 15.07.1897 Wassernutzung

Unmittelbar betroffen sahen sich auch die Triebwerksbesitzer in Römershag und Brückenau. Ihr Wasserrecht für den jeweiligen Mühlbach oder Mühlgraben wurde in Willkür geschmälert, ja sogar in Frage gestellt. Es dauerte eine Zeit bis der „Kgl. Bay. Staat“ die Besitzübernahme des Sinnflusses in verbriefte Rechte wahrnahm und schützte. Noch vor dem 1. Weltkrieg musste das Kgl. Bezirksamt Brückenau mit einer jährlichen Bekanntmachung auf die Einhaltung des Wasserschutzgesetzes von 1852 hinweisen.

Den Besitzern der ehemaligen Schneidmühle in Römershag waren die Regeln und Verordnungen hinsichtlich der Wiesenbewässerung stets gegenwärtig. Früher, beim Umbau der ursprünglichen Zehntscheune in eine Mahl- und Schneidmühle, wurde, vom zulaufenden Mühlgraben aus, ein unterirdischer Kanal quer über das Hofgelände in Richtung Sinnauwiesen verlegt. Die Instandhaltung dieses gemauerten Wassergrabens und der „Freischütze“ oblag nunmehr dem Grundbesitzer, der auch eine geregelte Benutzung dulden musste. Wurde bei Niedrigwasser der Bewässerungskanal geflutet, kamen fast immer die beiden Wasserräder zum Stillstand.

Nach Versteigerung der Forstwiesen in der Sinnau, vertrat ein nach Römershag eingeheirateter Landwirt plötzlich die Meinung, dass er jederzeit berechtigt sei, beliebig Wasser aus dem Mühlgraben zu entnehmen. Gegen diese Eigenmächtigkeit wehrte sich der damalige Schneidmüller energisch. Der Störenfried wiederum glaubte sich nun bei Gericht Gehör verschaffen zu müssen. Er strengte einen Prozess beim Landgericht Würzburg an. Nach zweijährigem Rechtsstreit musste er sich der bestehenden Rechtslage unterwerfen. Schlussendlich stimmte er 1899 einem freiwilligen Vergleich und Kostenzuschuss für den Beklagten zu.

Auch von solchen Geschichten könnte die Sinn erzählen, doch verbleibt ihr nur noch wenig Zeit zu verweilen. Die erweiterte Sinnbettregulierung unterhalb von Römershag verlangt von ihr Anpassung an eine neue Gangart. Auch sind ihr die kleinen Umwege über die Sinnauwiesen nun strikt verwehrt. Dort darf kein Rinnsal-Nachlauf-Spiel mehr geübt oder gar geschwätzig variiert werden.

Dort wird jetzt in Betrieben eifrig gearbeitet,

in einer Schule tüchtig gelernt,

ein einem Sportzentrum hart trainiert!

Mit einer etwas geänderten Melodie grüßt die Sinn nun die Menschen, die sich manchmal während der Ruhepausen an ihrem erhöhten Ufer aufhalten.

 

Der „Brückenauer Anzeiger“ berichtet

Der „Brückenauer Anzeiger“ vom 8. Juli 1977 berichtete von den Abbrucharbeiten am Vortag.

Abriss Mühle im Brückenauer Anzeiger, Foto Renner
Abriss Mühle im Brückenauer Anzeiger, Foto Renner

Der Bagger machte gestern Morgen kurzen Prozess mit der alten „Dunkelschen Mühle“ in Römershag. Das Wohnhaus mit Stallungen, der Mahl- und Schneidemühle wurde in einigen Stunden abgerissen. Bürgermeister Müller gab den „Startschuss“ für die Abbrucharbeiten. Wie ein Streichholz knickte der hohe Schornstein zusammen. Der Mühlen-Abbruch ist der erste Schritt zur Realisierung des neuen Schul- und Sportzentrums in Römershag.

Die Zufahrtsstraße (heute: Dr.-Melchior-Adam-Weikard-Straße) zum Schul- und Sportzentrum war der Grund für den Abriss. Sofort beginnen konnten die Arbeiten laut „Brückenauer Anzeiger“, „nachdem der 45 Seiten umfassende Wasserrechtsbescheid eintraf.“ Der im Archiv Kuther erhaltene Briefwechsel bestätigt den vorzeitigen Beginn der Abrissarbeiten, die ursprünglich Wochen später beginnen sollten.

Brückenauer Anzeiger vom 8. Juli 1977
Brückenauer Anzeiger vom 8. Juli 1977

Der Zeitungsbericht nennt namentlich die letzten Besitzer und Betreiber des Mühlengebäudes, „das um 1500 gebaut worden sein soll.“ Die vier erwähnten Personen sind die Erben des 1935 verstorbenen Luitpold Dunkel: Hilda, Paula, Richard und Erwin Dunkel. Die anderen Kinder, Josef Dunkel (+1965 in Brückenau), Carola Kuther, geb. Dunkel (+1990 in Dannenfels), Ingeborg Kausemann, geb. Dunkel (+2000 in Gemünden) waren testamentarisch anders abgegolten worden. Richard Dunkel wird als Müller und letzter Betreiber der Mahlmühle genannt. Er galt seit 1944 als Soldat in der Tschechoslowakei vermisst und wurde 1972 für tot erklärt. Sein Name ist auf den Kriegerdenkmal gegenüber dem ehemaligen Standort der Mühle verewigt. „Erwin Dunkel mahlte nach dem Krieg nur Schrot und betrieb eine Schneidmühle… mit einem Holzgatter…“ Nach seinem Tod 1972 in Würzburg „verfiel die Mühle mehr und mehr.  Seine beiden Schwestern, beide inzwischen über 80 Jahre alt, zogen ins benachbarte Pflegeheim Römershag um.“ Umzug ist dabei ein beschönigender Ausdruck, wenn man weiß, wie vor allem Hilda Dunklel zur sog. „Anstalt“ stand.  Von dort mussten sie am 7. Juli 1977 den Abriss ihres Vaterhauses miterleben. Sie starben kurz hintereinander 1980 in Römershag.

Im letzten Absatz des Berichts erwähnt der „Brückenauer Anzeiger“ die Feststellung des Baudirektors Horst Knapp: „Das Mühlrad ist nicht denkmalwürdig.“ Das stimmt, weil es erst einige Jahrzehnte zuvor eingebaut wurde, um Holz durch Stahl zu ersetzen. Eine Bemerkung oder Begutachtung des im Artikel immerhin auf 1500 datierten Gebäudes, das bereits als Zehntscheune des Gutshofes der alten Talburg diente, suchen wir leider vergeblich.

Eine Nebenbemerkung zum „Brückenauer Anzeiger“: im gleichen Jahr 1977 verlor die Zeitung nach fast 100 Jahren ihre Eigenständigkeit. Der „Brückenauer Anzeiger“ erschien als „unabhängige Heimatzeitung“ von 1879 bis 1977. Die Familie Dunkel war der Zeitung, die erstmals am 1. Januar 1879 erschien, verbunden. Am 10. Dezember 1879 erschien im „Brückenauer Anzeiger erstmals ein Gedicht von Joseph Dunkel, dem Dichtermüller.

40 Jahre: Vergessen oder Erinnern

Heute vor 40 Jahren, am 7. Juli 1977 wurde die Schneidmühle zu Römershag abgerissen. Die Stadt Bad Brückenau hatte 1974 das Gebäude mit zugehörigen Grundstücken erworben, um die Hochwasserregulierung der Sinn bewerkstelligen zu können. Mit der Sinnregulierung wurden die bisherigen z.T. zur Schneidmühle gehörenden Sinnauwiesen bebaubar, so dass das Sport- und Schulzentrum (Franz-Miltenberger-Gymnasium) errichtet werden konnte.

Nach Abriss 1977 Steg über die Sinn
Nach Abriss 1977 Steg über die Sinn

Der Regulierung vorausgegangen war der Straßenbau für die neu Straßenführung der heutigen B 286. Im Zuge dieser Arbeiten wurde der alte Mühlgraben zugeschüttet und auch das Sinnbett teilweise verlegt. Erhalten blieb bis heute der Steg über die Sinn, der mit neuem Eisengeländer gesichert wurde.

 

Mit dem Abriss der Schneidmühle wurde die ursprünglich wohl im 16. Jahrhundert von der Abtei Fulda errichtete Zehntscheune zerstört.

Nach Abriss 1977 Blick auf neues Haus Gerhard
Nach Abriss 1977 Blick auf neues Haus Gerhard

Nach dem Abriss des Hauses Gerhard (ehem. Krugbäckerei) kurz zuvor verschwand damit ein weiteres Gebäude aus dem Ensemble des alten Gutshofes, der mit der Talburg den Kern und Ursprung des Ortes Römershag gebildet hatte. In den 70er Jahren stand die Weiterentwicklung des Ortes im Vordergrund und ließ einer historischen Rückbesinnung noch keinen Raum. Umso wichtiger erscheint es heute,  die an die Wurzeln des Ortes zu erinnern. Diese Website leistet ihren Beitrag, um die verschüttete Geschichte der Schneidmühle und damit eines Teils von Römershag sichtbar zu machen. Zuversichtlich bin ich nach Gesprächen mit Bürgermeister Dieter Seban und dem Leiter des Stadtarchivs und Kulturbüros Dieter Sternecker, dass auch für das Sichtbarwerden im öffentlichen Raum in Form einer Hinweistafel eine gute Lösung gefunden wird.

Nach Abriss 1977 ehem. Standort Schneidmühle
Nach Abriss 1977 ehem. Standort Schneidmühle

Zunächst werden dazu mögliche Entwürfe gesichtet und ein geeigneter Platz gesucht. Der Standort der Schneidmühle an der heutigen Dr.-Melchior-Adam-Weikard-Straße böte sich aus meiner Sicht an. Schüler, Besucher des Alten- und Pflegeheims, Bürger und nicht zuletzt Touristen könnten sich vor dem Barockschloss über das geschichtliche Werden des Ortes informieren.

Nach Abriss 1977 Blick ins Geviert des ehem Gutshofes
Nach Abriss 1977 Blick ins Geviert des ehem Gutshofes