Wald, Wasser und Wiesen in einer Nacherzählung

von Edgar G. Kuther, 11.09.1988

„Römershag ist eine ganz merkwürdige Siedlung. Kaum 300 Menschen leben dort, von grünen Waldhöhen eingeengt, aber alles ist Konzentration, Wille, Fortschritt. Hohe graue Giebelmauern im Dorfe erzählen von fuldaischer und tannischer Vergangenheit.

Die Sinn schießt ungebärdig daher, nachdem sie Wildflecken, Oberbach und den beiden Riedenberg eine stürmisch kurze Verbeugung gemacht. Allerlei hat sie auf ihrem hastigen Laufe bis hierher erlebt. Sie wärmt geschwätzig auch alte Geschichten auf. Ihr Erzählen von Begebenheiten verliert sich im Murmeln der klaren Wellen. In Römershag treibt sie Mühlräder, rauscht vorbei an einer Spinnerei, vorbei an der Wirtschaft Breitenbach, deren gewaltiger Laub-Baldachin freundlich in die heimelig-moderne Gaststube hineinkomplimentiert. In ihrem Wasser spiegelt sich aber auch ein Bau, dessen Inneres menschliches Elend birgt: das ehemalige tannische/ fuldaische Schloss, heute Kreisanstalt für Unheilbare“ (jetzt Pflege- und Altenheim, Anm. d. Verf.).

Diese Schilderung, aus dem Jahre 1926, war unter der Rubrik „Streifzüge durch Franken“ in einer Würzburger Zeitung zu lesen.

Wehr an der Sinn Zeichnung Edgar G. Kuther 1988
Wehr an der Sinn Zeichnung Edgar G. Kuther 1988

Vor dem ständigen, teils enormen Waldfrevel soll die Sinn mehr Wasser geführt haben. Radikale Kahlschläge in der „Buchonia“, den Waldungen rings um die Bergkuppen der Rhön, rächten sich. Die Wasserschüttung wurde im Jahresverlauf geringer, das im Frühjahr zu erwartende Hochwasser dafür umso heftiger und gefährlicher. In trockenen Jahren sank der Wasserspiegel rapide. Solches Niedrigwasser wirkte sich auch auf den Ertrag der Sinnauwiesen aus. Mit Bewässerungsgräben und sogenannten Wasserschützen sorgte man für einen Ausgleich in Maßen. Die noch in fuldaischer Zeit entstandenen Stauwehre fügten sich in die Idylle des Rhöntals ein. Eine Benutzungsregelung, gültig für die Domänenverwaltung in Römershag als auch für die Stadt Brückenau, sorgte für eine abgestimmte, vernünftige Wiesenbewässerung. Nach der Säkularisierung geriet die bis dahin bewährte Praxis in Unordnung.

Aufteilung, Verkauf und Verpachtung der Sinnauwiesen brachten andere Anrainer an die Sinn. Einige davon wollten durch häufiges Bewässern eine Ertragssteigerung herbeiführen. Dabei wurde manches Wiesenstück nur „sauer“ gewässert. Mit einher gingen Eingriffe, Übergriffe an Stauwehren und Wasserschützen. Ebenso wurden sporadisch Manipulationen – widerrechtlich – am Bewässerungssystem, aber auch am Sinnufer, vorgenommen.

Brückenauer Anzeiger 15.07.1897 Wassernutzung
Brückenauer Anzeiger 15.07.1897 Wassernutzung

Unmittelbar betroffen sahen sich auch die Triebwerksbesitzer in Römershag und Brückenau. Ihr Wasserrecht für den jeweiligen Mühlbach oder Mühlgraben wurde in Willkür geschmälert, ja sogar in Frage gestellt. Es dauerte eine Zeit bis der „Kgl. Bay. Staat“ die Besitzübernahme des Sinnflusses in verbriefte Rechte wahrnahm und schützte. Noch vor dem 1. Weltkrieg musste das Kgl. Bezirksamt Brückenau mit einer jährlichen Bekanntmachung auf die Einhaltung des Wasserschutzgesetzes von 1852 hinweisen.

Den Besitzern der ehemaligen Schneidmühle in Römershag waren die Regeln und Verordnungen hinsichtlich der Wiesenbewässerung stets gegenwärtig. Früher, beim Umbau der ursprünglichen Zehntscheune in eine Mahl- und Schneidmühle, wurde, vom zulaufenden Mühlgraben aus, ein unterirdischer Kanal quer über das Hofgelände in Richtung Sinnauwiesen verlegt. Die Instandhaltung dieses gemauerten Wassergrabens und der „Freischütze“ oblag nunmehr dem Grundbesitzer, der auch eine geregelte Benutzung dulden musste. Wurde bei Niedrigwasser der Bewässerungskanal geflutet, kamen fast immer die beiden Wasserräder zum Stillstand.

Nach Versteigerung der Forstwiesen in der Sinnau, vertrat ein nach Römershag eingeheirateter Landwirt plötzlich die Meinung, dass er jederzeit berechtigt sei, beliebig Wasser aus dem Mühlgraben zu entnehmen. Gegen diese Eigenmächtigkeit wehrte sich der damalige Schneidmüller energisch. Der Störenfried wiederum glaubte sich nun bei Gericht Gehör verschaffen zu müssen. Er strengte einen Prozess beim Landgericht Würzburg an. Nach zweijährigem Rechtsstreit musste er sich der bestehenden Rechtslage unterwerfen. Schlussendlich stimmte er 1899 einem freiwilligen Vergleich und Kostenzuschuss für den Beklagten zu.

Auch von solchen Geschichten könnte die Sinn erzählen, doch verbleibt ihr nur noch wenig Zeit zu verweilen. Die erweiterte Sinnbettregulierung unterhalb von Römershag verlangt von ihr Anpassung an eine neue Gangart. Auch sind ihr die kleinen Umwege über die Sinnauwiesen nun strikt verwehrt. Dort darf kein Rinnsal-Nachlauf-Spiel mehr geübt oder gar geschwätzig variiert werden.

Dort wird jetzt in Betrieben eifrig gearbeitet,

in einer Schule tüchtig gelernt,

ein einem Sportzentrum hart trainiert!

Mit einer etwas geänderten Melodie grüßt die Sinn nun die Menschen, die sich manchmal während der Ruhepausen an ihrem erhöhten Ufer aufhalten.