Ein Blick in die Schneidmühle

Mein Vater Edgar G. Kuther hat 1982 einen Grundriss der Schneidmühle gezeichnet, der einen Eindruck zur Lage der gewerblichen und privaten Räume vermittelt.

Grundriss Schneidmühle - Zeichnung Edgar G. Kuther 1982
Grundriss Schneidmühle – Zeichnung Edgar G. Kuther 1982

Zehntscheune mit Lager und Keller

Gut zu erkennen ist das Hauptgebäude der Schneidmühle, das bei der Errichtung im 16. Jahrhundert ausschließlich als Zehntscheune des Gutshofes konzipiert. Mit 35 Meter Länge, 11,5 Meter Breite und fast 11 Meter Firsthöhe entsprach das Gebäude der fränkischen Bauart mit breit ausladendem Satteldach. Nur die in südlicher Gegend anzutreffenden Dachgauben fehlten –  sicherlich wegen der durch die rauen Witterungsverhältnisse in der Rhön bedingten Reparaturanfälligkeit.

Der Schlossneubau am linken, südlichen Sinnufer um 1650 brachte einige Änderungen für den seither hermetisch abgeschlossenen Gutshof mit sich, als dessen Zehntscheune die Schneidmühle ursprünglich gebaut worden war. Der Einbau eines Triebwerkes unter und innerhalb der der Sinn zugekehrten Gebäudestirnseite (im Plan links) bot sich im Zusammenhang der Sinnregulierung im Bereich der Zufahrt zum neuen Schloss an. Die Neubauten des Schlosses hatten auch genügend, vielleicht besseren Lagerraum, sodass die Nutzung als Zehntscheune an Bedeutung verlor.

Fundamente im Mühlgraben freigelegt beim Abriss 1977
Fundamente im Mühlgraben freigelegt beim Abriss 1977

Die Gewölbe und die Fundamentmauern in der Wasserradkammer wurden wohl mit den Sandsteinblöcken der ehemaligen Wehranlage der Talburg, die waffentechnisch bedeutungslos geworden war, erstellt. Gleiches gilt auch für die noch heute sichtbare Uferbewehrung am Sinnübergang und die Einfassung des neugeschaffenen Mühlgrabens zur Zehntscheune.  Dass die Wehranlage selbst und Teile der alten Talburg als Baumaterial verwendet wurden, lässt sich auch an den Steinen mit Schießscharten, die in der Friedhofsmauer eingelassen sind, erahnen.

Pochkammer für die benachbarte Krugbäckerei

Letzte Kammräder des Triebwerks
Letzte Kammräder des Triebwerks

Mit der Ingangsetzung des Triebwerkes tritt die ehemalige Zehntscheune für einige Jahrzehnte als Ölmühle in Erscheinung. Nach der Übernahme der direkten Verwaltung des Gutshofes durch die Abtei Fulda im Jahre 1692, fanden sich die Krugbäcker am Ort ein. Die Ölmühle wandelte sich jetzt zu einem Pochwerk für Tonerde. Die Pochkammer ist auf dem Plan oben als Anbau längs des Mühlgrabens zu sehen. Die Ausrüstung als Pochwerk erlaubte auch die gleichzeitige Benutzung für die Papiererzeugung damaliger Fertigung. Die sogenannte Insel zwischen Mühlgraben und der Sinn bei der Schneidmühle erhielt damals auch die Bezeichnung „Bleichinsel“.

Schneidstraße parallel zum Mühlgraben

Der nächste Entwicklungsschritt erfolgte etwa um das Jahr 1760. Der Auf- und Ausbau des von Seiten Fuldaer Landesherren stetig geförderten Kurbades Brückenau brachte eine enorme Bautätigkeit mit sich. Nichts lag näher, als dass sich die Verwaltung eigener Zulieferbetriebe bediente. Die Mühle erhielt die Ausrüstung einer mechanischen Säge, ein Einfachgatter, und dieser Umstand führte zur Namensgebung als „Schneid“-Mühle, hergeleitet vom Tätigkeitsmerkmal. Die „Schneidstraße“ mit dem auf dem Fundament aufsitzenden  Gatter ist mit grüner Farbe auf dem Plan eingezeichnet. Sie behielt ihre Lage über 200 Jahre. Lediglich die vorgebaute Holzhalle wurde 1936 in Richtung Straße erweitert.

Mühlsteine der Schrotmühle 1977 nach dem Abriss
Mühlsteine der Schrotmühle 1977 nach dem Abriss

Den größten Raum auf dem Grundriss nimmt die eigentliche Mahl-Mühle ein, etwa links der Mitte. Direkt dem Raum vorgelagert befand sich der später betonierte Platz zur Mehlverladung.

Kuhstall und Werkhalle

Ganz rechts auf dem Plan sind Vorratskeller und Kuhstall zu sehen. Das aus der Zehntzeit stammende Kellergewölbe unter der westlichen Stirnseite des Gebäudes wurde vom Schneidmüller Luitpold Dunkel um 1900 zu einem Viehstall für sechs Kühe umfunktioniert und die Futterzufuhr von dem darüber liegenden Heuboden mechanisiert. Er nahm auch die optisch einschneidendste Veränderung an der Form der alten Zentscheune vor: das lange Satteldach wurde durch eine große, repräsentative Quergaube im Mittelteil des Gebäudes durchbrochen und prägte ab 1905 das Bild der Schneidmühle. Ebenfalls veränderte der Anbau einer Werkhalle an der Sinnseite die äußere Silhouette. Bis 1915 hatte darin die Fertigung von Zement-Kunststein-Erzeugnissen von einem Vertragspartner ihren Raum.

Wohnzimmer und Büro

Weiter sind auf der rechten Seite des Grundrisses die privaten Räume zu sehen: Küche, Wohnzimmer, Zimmer und Büro. In den Etagen darüber ebenfalls Zimmer (im Plan rot eingezeichnet). Im Wohnzimmer wurden die Feste begangen. Auf dem einzigen erhaltenen Bild von 1920 ist es die Hochzeit von Carola Dunkel mit Eugen Kuther.

Hochzeitsbild Carola und Eugen Wohnzimmer 23.09.1920
Hochzeitsbild Carola und Eugen Wohnzimmer 23.09.1920

Das nebenan liegende Büro war die Schaltstelle des unternehmerischen und dichterischen Schaffens von Luitpold Dunkel, bis er 1935 verstarb. Von da an wollten die Nachkommen im Hause, dass das Zimmer verschlossen bleibt und nicht mehr genutzt wird. Als Junge habe ich 1975 selbst erlebt, als es bei der Räumung erstmals nach 40 Jahren geöffnet wurde.

Toiletten

Die im Plan oben als Lager und Badezimmer bezeichneten Räume wurden Anfang April 1945 zerstört, als Teile einer Waffen-SS-Division sich in Römershag festsetzten und eine unsinnige Verteidigungsphase begannen.  Die inzwischen aus der Höhe Roßbach-Weißenbrunn eingetroffene amerikanische Artillerie begann mit materieller Überlegenheit den Widerstand in und um Römershag zu brechen. Die SS-Truppen bereiteten die Sprengung der Sinnbrücke vor. Die Schneidmühle lag genau in der Schusslinie der Artilleriegeschütze und wurde bereits bei der ersten Salve getroffen. Weitere Anschläge folgten und richteten erheblichen Schaden im Dachgebälk und am Mauerwerk an. Der rückseitige Anbau zum Wohngebäude mit den Toiletten wurde ebenso wie der danebenliegende Lagerraum zusammengeschossen. Eine Granate schlug im Sägewerk ein und beschädigte die Wasserkraftanlage. Eine weitere durchschlug den Heuboden und explodierte im Futterschacht des Stalles. Die Kriegsschäden am Gebäude und an den Betriebseinrichtungen konnten nur teilweise und auch nur notdürftig behoben werden. Der einzig hinterbliebene Schneidmüller Erwin Dunkel hatte unter Einbeziehung eines Bauingenieurs aus Breitenbach ein Baugesuch zur Instandsetzung gestellt, welches vom Landratsamt 1948 zurückgestellt wurde. Es fehlte in der allgemeinen Zwangsbewirtschaftung an Material und Ware. Ich erinnere mich, dass auch um 1970 der Toilettengang beim Besuch in der Schneidmühle durchs Freie führte.

Mühle von hinten 1974
Mühle von hinten 1974

Ritter Kunz von Tann

Kaspar Gartenhof 1912
Kaspar Gartenhof 1912

In den Unterlagen der Schneidmühle zu Römershag fand sich das Typoskript einer von  Kaspar Gartenhof (1883-1952) bearbeiteten Rhönsage. Die Sage passt für eine Zehntscheune, der Tann’schen Ritter, als welche die Schneidmühle im 16. Jahrhundert  entworfen und gebaut wurde, lange bevor sie mit dem Einbau eines Triebwerkes neue Zwecke zu erfüllen hatte. Als sagenhafte Beschreibung des angespannten Verhältnisses zwischen dem Lehensherrn Fürstbischof in Fulda und dem nach Eigenständigkeit strebenden Rittergeschlecht  von Tann möchte ich sie hier zur Verfügung stellen.

 

Des Ritters Kunz Ritt nach Fulda

Eine Rhönsage bearbeitet von Kaspar Gartenhof.

Ecce tibi nisi veneris amicus
Ecce tibi nisi veneris amicus

In der unterfränkischen Kreisanstalt für Unheilbare zu Römershag, einem ehemaligen Jagdschlosse der Fürstäbte von Fulda, befindet sich über einem der vom innern Hofe aus zuführenden Eingänge der aus Sandstein gearbeitete Kopf eines Mannes mit der wenig friedlich klingenden Unterschrift: Vae tibi, nisi veneris amicus! (Weh dir, wenn du nicht als Freund kommst!) Die Fama behauptet, es sei dies der Kopf des Raubritters Kunz, der hier vor Zeiten gehaust, und von dessen wilder Grausamkeit und tollem Wagemut noch heute manche Sage und manches Lied erzählt und singt.

 

Ritter Kunz von Tann Schloss Römershag
Ritter Kunz von Tann Schloss Römershag

Eines Abends saß Ritter Kunz mit seinen Zechkumpanen, den ritterlichen Räubern von Schildeck und Werberg, zusammen, und sie sprachen fleißig den riesigen Humpen zu, als die Rede auf den Abt von Fulda kam, den Ritter Kunz gar oft schon an Leuten und Gut schwer geschädigt hatte. Des edlen Weines voll, der aus einer fürstäbtlichen Kellerei stammte, rühmte er sich seiner schändlichen Taten und vermaß sich, deren noch schlimmere vollbringen und besonders den Mönchen in Fulda noch üblere Streich spielen zu wollen als bisher. Zuletzt verstieg er sich zu der Behauptung, dass er willens sei, noch diese Nacht durch Wälder und Felder nach Fulda zu reiten, um aus der fürstäbtlichen Bäckerei einen der Wecken zu holen, die zum Frühstück des Abts bestimmt seien, und ihn noch warm in seine Burg zu bringen. Das schien denn seinen Genossen doch zu sehr geprahlt und es fielen Ausdrücke, die versteckt darauf anspielten. Kaum merkte dies Ritter Kunz, so stand er zornig auf, schlug mit der Faust auf den Tisch und schwur, sofort werde er sein Vorhaben ausführen; sie sollten sich nur einige Stunden gedulden, und sie könnten von dem frischen Brot des Abts kosten. Hierauf jagte er seinen Knappen aus dem Schlafe, befahl ihm, seinen Rappen zu schirren und Schwert und Rüstung zu bringen. Nach wenigen Minuten saß er zu Pferde und sprengte zum Erstaunenseiner Kumpane aus dem Tore in die mondhelle Nacht hinein, gefolgt von einem gewaltigen schwarzen Hunde, den er auf seinen Streifzügen immer mit sich zu führen pflegte.

 

Es war der verwegenste Ritt, den Ritter Kunz bis jetzt getan. Wie irrsinnig sprengte er durch die Wälder und saatenbestandenen Felder, als ob dreihundert Reiter ihm auf den Fersen säßen. Nach wenigen Stunden kam er vor Fulda an, setzte in kühnem Sprung mit Ross und Hund an der niedrigsten Stelle über die Stadtmauer, ohne dass die sorglos schlafenden Wächter erwachten und ritt durch die totenstillen Straßen zur fürstäbtlichen Bäckerei. Dort hatte man sich eben an die Arbeit begeben, als zum gewaltigen Schrecken der Leute Ritter Kunz unter der Türe erschien. Sein Pferd hatte er vor dem Eingang an eine Säule gebunden und ihm den Hund als treuen Wächter beigestellt. Anfangs hielten die Leute den Ritter für ein Gespenst; doch als er ruhig sein Schwert zog und ihnen befahl, ohne jeden Lärm die gewöhnliche Arbeit rasch zu vollenden, wenn ihnen das Leben lieb sei, da fielen sie auf die Knie nieder und versprachen alles zu tun, nur solle er sie an Leib und Leben schonen. Zitternd führten sie sodann ihre Arbeit aus, kneteten Teig, formten die Wecken und schossen sie in den Ofen ein. Den ersten Wecken der gut gebachen war, ließ Kunz sich reichen, eilte damit, nachdem er die Tür, wo er immer gestanden, hinter sich verschlossen hatte, zu seinem Pferde, schwang sich hinauf und sprengte zur Stadtmauer zurück, wo die Wächter immer noch schliefen. Als er aber über die Mauer setzte, streifte das Pferd mit den Hinterhufen die Krönung, so dass sich einige Steine loslösten und polternd in die Tiefe stürzten. Da erwachten die Wächter und erkannten bei dem hellen Mondenschein in dem Davonsprengenden den Ritter Kunz. Ein gewaltiger Lärm erhob sich nun in dessen Rücken, im Nu öffnete die Stadt ihre Tore, und man sandte ihm ein Dutzend Verfolger nach. Kunz aber kümmerte sich nicht um sie, sondern jagte mit rasender Schnelligkeit weiter, seinen Wecken fest haltend, den er noch warm nach seiner Burg bringen wollte. Bald ließen die fürstäbtlichen Reiter, erschöpft durch den Ritt auf Leben und Tod, von der nutzlosen Verfolgung ab und kehrten nach Fulda zurück. Ritter Kunz kam noch bei Tagesgrauen in seiner Burg an, wo seine Genossen die Nacht durchzecht hatten, begierig auf den Ausgang der Dinge. Sie waren nicht wenig überrascht, als der Ritter zu ihnen eintrat und lachend jedem ein Stück des frisch duftenden Gebäcks zu kosten gab, dessen Feinheit den Ofen verriet, in dem es gebachen. Nie mehr wagten sie es, an ihres Kumpans Worte zu zweifeln und wenn sie auch noch so prahlerisch klagen; wollten sie aber irgend eines Genossen Verwegenheit und Schnelligkeit im Reiten überschwenglich preisen, so sagten sie: „Der reitet wie Ritter Kunz und holt den Wecken aus Fulda.“

 

Die Erinnerung an den kühnen Ritt, bei dem Herr Kunz den warmen Wecken holte, lebt auch noch in einem Liede fort, das in der Brückenauer Gegend den Kindern als etwas derbes Schaukellied gesungen wird:

Troll, troll, troll!
Der Reiter reit noach Foll,

Der Reiter reit noach Fliede.
Murge kömmt er wieder

Brengt ‚m Madie ’n Weck
on dem Moa ’n Dreck.

Der Ritter Kunz, der nach dieser Fahrt noch lange lebte, noch einen abenteuerlichen Zug in die Türkei unternahm und noch viele Grausamkeiten verübte bis er seinen Meister und Richter fand, muss zur Strafe für sein gottloses Leben der Grabesruhe entbehren und an den Orten seiner Taten umherwandeln. So hat ihn schon manch einer zu heiligen Zeiten in mondscheinhellen Nächten wie wütend über die Felder in der Richtung gegen Fulda reiten sehen, gefolgt von seinem riesigen, heiser  bellenden Hunde, dessen glühende Augen sich wie feurige Räder im Kopfe drehen.