Ritter Kunz von Tann

Kaspar Gartenhof 1912
Kaspar Gartenhof 1912

In den Unterlagen der Schneidmühle zu Römershag fand sich das Typoskript einer von  Kaspar Gartenhof (1883-1952) bearbeiteten Rhönsage. Die Sage passt für eine Zehntscheune, der Tann’schen Ritter, als welche die Schneidmühle im 16. Jahrhundert  entworfen und gebaut wurde, lange bevor sie mit dem Einbau eines Triebwerkes neue Zwecke zu erfüllen hatte. Als sagenhafte Beschreibung des angespannten Verhältnisses zwischen dem Lehensherrn Fürstbischof in Fulda und dem nach Eigenständigkeit strebenden Rittergeschlecht  von Tann möchte ich sie hier zur Verfügung stellen.

 

Des Ritters Kunz Ritt nach Fulda

Eine Rhönsage bearbeitet von Kaspar Gartenhof.

Ecce tibi nisi veneris amicus
Ecce tibi nisi veneris amicus

In der unterfränkischen Kreisanstalt für Unheilbare zu Römershag, einem ehemaligen Jagdschlosse der Fürstäbte von Fulda, befindet sich über einem der vom innern Hofe aus zuführenden Eingänge der aus Sandstein gearbeitete Kopf eines Mannes mit der wenig friedlich klingenden Unterschrift: Vae tibi, nisi veneris amicus! (Weh dir, wenn du nicht als Freund kommst!) Die Fama behauptet, es sei dies der Kopf des Raubritters Kunz, der hier vor Zeiten gehaust, und von dessen wilder Grausamkeit und tollem Wagemut noch heute manche Sage und manches Lied erzählt und singt.

 

Ritter Kunz von Tann Schloss Römershag
Ritter Kunz von Tann Schloss Römershag

Eines Abends saß Ritter Kunz mit seinen Zechkumpanen, den ritterlichen Räubern von Schildeck und Werberg, zusammen, und sie sprachen fleißig den riesigen Humpen zu, als die Rede auf den Abt von Fulda kam, den Ritter Kunz gar oft schon an Leuten und Gut schwer geschädigt hatte. Des edlen Weines voll, der aus einer fürstäbtlichen Kellerei stammte, rühmte er sich seiner schändlichen Taten und vermaß sich, deren noch schlimmere vollbringen und besonders den Mönchen in Fulda noch üblere Streich spielen zu wollen als bisher. Zuletzt verstieg er sich zu der Behauptung, dass er willens sei, noch diese Nacht durch Wälder und Felder nach Fulda zu reiten, um aus der fürstäbtlichen Bäckerei einen der Wecken zu holen, die zum Frühstück des Abts bestimmt seien, und ihn noch warm in seine Burg zu bringen. Das schien denn seinen Genossen doch zu sehr geprahlt und es fielen Ausdrücke, die versteckt darauf anspielten. Kaum merkte dies Ritter Kunz, so stand er zornig auf, schlug mit der Faust auf den Tisch und schwur, sofort werde er sein Vorhaben ausführen; sie sollten sich nur einige Stunden gedulden, und sie könnten von dem frischen Brot des Abts kosten. Hierauf jagte er seinen Knappen aus dem Schlafe, befahl ihm, seinen Rappen zu schirren und Schwert und Rüstung zu bringen. Nach wenigen Minuten saß er zu Pferde und sprengte zum Erstaunenseiner Kumpane aus dem Tore in die mondhelle Nacht hinein, gefolgt von einem gewaltigen schwarzen Hunde, den er auf seinen Streifzügen immer mit sich zu führen pflegte.

 

Es war der verwegenste Ritt, den Ritter Kunz bis jetzt getan. Wie irrsinnig sprengte er durch die Wälder und saatenbestandenen Felder, als ob dreihundert Reiter ihm auf den Fersen säßen. Nach wenigen Stunden kam er vor Fulda an, setzte in kühnem Sprung mit Ross und Hund an der niedrigsten Stelle über die Stadtmauer, ohne dass die sorglos schlafenden Wächter erwachten und ritt durch die totenstillen Straßen zur fürstäbtlichen Bäckerei. Dort hatte man sich eben an die Arbeit begeben, als zum gewaltigen Schrecken der Leute Ritter Kunz unter der Türe erschien. Sein Pferd hatte er vor dem Eingang an eine Säule gebunden und ihm den Hund als treuen Wächter beigestellt. Anfangs hielten die Leute den Ritter für ein Gespenst; doch als er ruhig sein Schwert zog und ihnen befahl, ohne jeden Lärm die gewöhnliche Arbeit rasch zu vollenden, wenn ihnen das Leben lieb sei, da fielen sie auf die Knie nieder und versprachen alles zu tun, nur solle er sie an Leib und Leben schonen. Zitternd führten sie sodann ihre Arbeit aus, kneteten Teig, formten die Wecken und schossen sie in den Ofen ein. Den ersten Wecken der gut gebachen war, ließ Kunz sich reichen, eilte damit, nachdem er die Tür, wo er immer gestanden, hinter sich verschlossen hatte, zu seinem Pferde, schwang sich hinauf und sprengte zur Stadtmauer zurück, wo die Wächter immer noch schliefen. Als er aber über die Mauer setzte, streifte das Pferd mit den Hinterhufen die Krönung, so dass sich einige Steine loslösten und polternd in die Tiefe stürzten. Da erwachten die Wächter und erkannten bei dem hellen Mondenschein in dem Davonsprengenden den Ritter Kunz. Ein gewaltiger Lärm erhob sich nun in dessen Rücken, im Nu öffnete die Stadt ihre Tore, und man sandte ihm ein Dutzend Verfolger nach. Kunz aber kümmerte sich nicht um sie, sondern jagte mit rasender Schnelligkeit weiter, seinen Wecken fest haltend, den er noch warm nach seiner Burg bringen wollte. Bald ließen die fürstäbtlichen Reiter, erschöpft durch den Ritt auf Leben und Tod, von der nutzlosen Verfolgung ab und kehrten nach Fulda zurück. Ritter Kunz kam noch bei Tagesgrauen in seiner Burg an, wo seine Genossen die Nacht durchzecht hatten, begierig auf den Ausgang der Dinge. Sie waren nicht wenig überrascht, als der Ritter zu ihnen eintrat und lachend jedem ein Stück des frisch duftenden Gebäcks zu kosten gab, dessen Feinheit den Ofen verriet, in dem es gebachen. Nie mehr wagten sie es, an ihres Kumpans Worte zu zweifeln und wenn sie auch noch so prahlerisch klagen; wollten sie aber irgend eines Genossen Verwegenheit und Schnelligkeit im Reiten überschwenglich preisen, so sagten sie: „Der reitet wie Ritter Kunz und holt den Wecken aus Fulda.“

 

Die Erinnerung an den kühnen Ritt, bei dem Herr Kunz den warmen Wecken holte, lebt auch noch in einem Liede fort, das in der Brückenauer Gegend den Kindern als etwas derbes Schaukellied gesungen wird:

Troll, troll, troll!
Der Reiter reit noach Foll,

Der Reiter reit noach Fliede.
Murge kömmt er wieder

Brengt ‚m Madie ’n Weck
on dem Moa ’n Dreck.

Der Ritter Kunz, der nach dieser Fahrt noch lange lebte, noch einen abenteuerlichen Zug in die Türkei unternahm und noch viele Grausamkeiten verübte bis er seinen Meister und Richter fand, muss zur Strafe für sein gottloses Leben der Grabesruhe entbehren und an den Orten seiner Taten umherwandeln. So hat ihn schon manch einer zu heiligen Zeiten in mondscheinhellen Nächten wie wütend über die Felder in der Richtung gegen Fulda reiten sehen, gefolgt von seinem riesigen, heiser  bellenden Hunde, dessen glühende Augen sich wie feurige Räder im Kopfe drehen.