Der „Brückenauer Anzeiger“ berichtet

Der „Brückenauer Anzeiger“ vom 8. Juli 1977 berichtete von den Abbrucharbeiten am Vortag.

Abriss Mühle im Brückenauer Anzeiger, Foto Renner
Abriss Mühle im Brückenauer Anzeiger, Foto Renner

Der Bagger machte gestern Morgen kurzen Prozess mit der alten „Dunkelschen Mühle“ in Römershag. Das Wohnhaus mit Stallungen, der Mahl- und Schneidemühle wurde in einigen Stunden abgerissen. Bürgermeister Müller gab den „Startschuss“ für die Abbrucharbeiten. Wie ein Streichholz knickte der hohe Schornstein zusammen. Der Mühlen-Abbruch ist der erste Schritt zur Realisierung des neuen Schul- und Sportzentrums in Römershag.

Die Zufahrtsstraße (heute: Dr.-Melchior-Adam-Weikard-Straße) zum Schul- und Sportzentrum war der Grund für den Abriss. Sofort beginnen konnten die Arbeiten laut „Brückenauer Anzeiger“, „nachdem der 45 Seiten umfassende Wasserrechtsbescheid eintraf.“ Der im Archiv Kuther erhaltene Briefwechsel bestätigt den vorzeitigen Beginn der Abrissarbeiten, die ursprünglich Wochen später beginnen sollten.

Brückenauer Anzeiger vom 8. Juli 1977
Brückenauer Anzeiger vom 8. Juli 1977

Der Zeitungsbericht nennt namentlich die letzten Besitzer und Betreiber des Mühlengebäudes, „das um 1500 gebaut worden sein soll.“ Die vier erwähnten Personen sind die Erben des 1935 verstorbenen Luitpold Dunkel: Hilda, Paula, Richard und Erwin Dunkel. Die anderen Kinder, Josef Dunkel (+1965 in Brückenau), Carola Kuther, geb. Dunkel (+1990 in Dannenfels), Ingeborg Kausemann, geb. Dunkel (+2000 in Gemünden) waren testamentarisch anders abgegolten worden. Richard Dunkel wird als Müller und letzter Betreiber der Mahlmühle genannt. Er galt seit 1944 als Soldat in der Tschechoslowakei vermisst und wurde 1972 für tot erklärt. Sein Name ist auf den Kriegerdenkmal gegenüber dem ehemaligen Standort der Mühle verewigt. „Erwin Dunkel mahlte nach dem Krieg nur Schrot und betrieb eine Schneidmühle… mit einem Holzgatter…“ Nach seinem Tod 1972 in Würzburg „verfiel die Mühle mehr und mehr.  Seine beiden Schwestern, beide inzwischen über 80 Jahre alt, zogen ins benachbarte Pflegeheim Römershag um.“ Umzug ist dabei ein beschönigender Ausdruck, wenn man weiß, wie vor allem Hilda Dunklel zur sog. „Anstalt“ stand.  Von dort mussten sie am 7. Juli 1977 den Abriss ihres Vaterhauses miterleben. Sie starben kurz hintereinander 1980 in Römershag.

Im letzten Absatz des Berichts erwähnt der „Brückenauer Anzeiger“ die Feststellung des Baudirektors Horst Knapp: „Das Mühlrad ist nicht denkmalwürdig.“ Das stimmt, weil es erst einige Jahrzehnte zuvor eingebaut wurde, um Holz durch Stahl zu ersetzen. Eine Bemerkung oder Begutachtung des im Artikel immerhin auf 1500 datierten Gebäudes, das bereits als Zehntscheune des Gutshofes der alten Talburg diente, suchen wir leider vergeblich.

Eine Nebenbemerkung zum „Brückenauer Anzeiger“: im gleichen Jahr 1977 verlor die Zeitung nach fast 100 Jahren ihre Eigenständigkeit. Der „Brückenauer Anzeiger“ erschien als „unabhängige Heimatzeitung“ von 1879 bis 1977. Die Familie Dunkel war der Zeitung, die erstmals am 1. Januar 1879 erschien, verbunden. Am 10. Dezember 1879 erschien im „Brückenauer Anzeiger erstmals ein Gedicht von Joseph Dunkel, dem Dichtermüller.

40 Jahre: Vergessen oder Erinnern

Heute vor 40 Jahren, am 7. Juli 1977 wurde die Schneidmühle zu Römershag abgerissen. Die Stadt Bad Brückenau hatte 1974 das Gebäude mit zugehörigen Grundstücken erworben, um die Hochwasserregulierung der Sinn bewerkstelligen zu können. Mit der Sinnregulierung wurden die bisherigen z.T. zur Schneidmühle gehörenden Sinnauwiesen bebaubar, so dass das Sport- und Schulzentrum (Franz-Miltenberger-Gymnasium) errichtet werden konnte.

Nach Abriss 1977 Steg über die Sinn
Nach Abriss 1977 Steg über die Sinn

Der Regulierung vorausgegangen war der Straßenbau für die neu Straßenführung der heutigen B 286. Im Zuge dieser Arbeiten wurde der alte Mühlgraben zugeschüttet und auch das Sinnbett teilweise verlegt. Erhalten blieb bis heute der Steg über die Sinn, der mit neuem Eisengeländer gesichert wurde.

 

Mit dem Abriss der Schneidmühle wurde die ursprünglich wohl im 16. Jahrhundert von der Abtei Fulda errichtete Zehntscheune zerstört.

Nach Abriss 1977 Blick auf neues Haus Gerhard
Nach Abriss 1977 Blick auf neues Haus Gerhard

Nach dem Abriss des Hauses Gerhard (ehem. Krugbäckerei) kurz zuvor verschwand damit ein weiteres Gebäude aus dem Ensemble des alten Gutshofes, der mit der Talburg den Kern und Ursprung des Ortes Römershag gebildet hatte. In den 70er Jahren stand die Weiterentwicklung des Ortes im Vordergrund und ließ einer historischen Rückbesinnung noch keinen Raum. Umso wichtiger erscheint es heute,  die an die Wurzeln des Ortes zu erinnern. Diese Website leistet ihren Beitrag, um die verschüttete Geschichte der Schneidmühle und damit eines Teils von Römershag sichtbar zu machen. Zuversichtlich bin ich nach Gesprächen mit Bürgermeister Dieter Seban und dem Leiter des Stadtarchivs und Kulturbüros Dieter Sternecker, dass auch für das Sichtbarwerden im öffentlichen Raum in Form einer Hinweistafel eine gute Lösung gefunden wird.

Nach Abriss 1977 ehem. Standort Schneidmühle
Nach Abriss 1977 ehem. Standort Schneidmühle

Zunächst werden dazu mögliche Entwürfe gesichtet und ein geeigneter Platz gesucht. Der Standort der Schneidmühle an der heutigen Dr.-Melchior-Adam-Weikard-Straße böte sich aus meiner Sicht an. Schüler, Besucher des Alten- und Pflegeheims, Bürger und nicht zuletzt Touristen könnten sich vor dem Barockschloss über das geschichtliche Werden des Ortes informieren.

Nach Abriss 1977 Blick ins Geviert des ehem Gutshofes
Nach Abriss 1977 Blick ins Geviert des ehem Gutshofes